Anfang Februar berichtete die Credit Suisse über das Horrorjahr 2022. Unter dem Strich stand ein Verlust von 7,3 Milliarden Franken nach einem Minus von 1,7 Milliarden Franken im Vorjahr zu Buche. Seitdem ist die Aktie der Grossbank - insbesondere wegen des anhaltenden Rückgangs der Kundeneinlagen - auf ein Allzeittief gefallen, sodass der Kursverlust auf Jahressicht bei satten minus 60 Prozent zu liegen kommt.

Bis jetzt ist eines gewiss: Die Leidtragenden der Skandale und Kapitalerhöhungen - fünf seit 2008 - bei der traditionsreichen Grossbank, die 1856 vom Schweizer Wirtschaftsführer Alfred Escher gegründet wurde, sind die Aktionärinnen und Aktionäre. Und die Frage drängt sich immer stärker auf, wie die Credit Suisse in diesem herausfordernden Marktumfeld mit der laufenden Neuausrichtung und Transformation aus der Krise kommen soll. 

Denn erstens reissen auch jüngst die Negativnachrichten bei der Credit Suisse nicht ab: Am Montag wurde der definitive Ausstieg des langjährigen Grossaktionärs Harris Associates bekannt. Am Donnerstag musste die Grossbank die geplante Veröffentlichung des Geschäftsberichts wegen der US-Börsenaufsicht SEC verschieben. "Das Timing ist extrem unglücklich. Aber auch eine ruhigere Phase ohne Schlagzeilen ist gegenwärtig unrealistisch", kommentiert Vontobel-Bankenanalyst Andreas Venditti die SEC-Meldung auf Anfrage von cash.ch. Denn der angekündigte Verlust für das erste Quartal werde Ende April für weitere negative Schlagzeilen sorgen. 

Zweitens bleibt die Credit Suisse auch 2023 von vielen Seiten unter Druck. Die Kapital- und Liquiditätslage ist weiterhin fragil, die Ertragsaussichten sind schwierig - die Bank erwartet einen erheblichen Vorsteuerverlust. Die Refinanzierungskosten sind in die Höhe geschnellt und die Ratingagenturen Moody's und Fitch haben wegen den Ausführungsrisiken des Restrukturierungsplans einen negativen Ausblick. 

«Vertrauen ist die Basis vom Bankgeschäft»

"Vertrauen ist die Basis des Bankgeschäfts. Wenn das Vertrauen von Aktionären, Kunden und Mitarbeitern fehlt, dann ist das langfristig nicht haltbar", so Venditti. Und weil die Einschätzung über die Zukunft der Credit Suisse so schwierig sei, ist die Aktie so volatil. Es sei extrem schwierig einzuschätzen, ob der Transformationsprozess wie geplant umgesetzt werden kann und wo die Grossbank in drei bis fünf Jahren stehen wird. 

Dementsprechend sprechen auch die Ratings der von Bloomberg befragten Analysten eine klare Sprache: Zehn empfehlen den Verkauf der Aktien, vierzehn das Halten und einzig zwei einen Kauf. Zwar liegt das durchschnittliche Kursziel 18 Prozent über dem aktuellen Kurs, was angesichts der laufenden Senkungen aber wenig bis gar nichts aussagt. Venditti von Vontobel hat für die Credit Suisse ein Kursziel von 2,9 Franken und ein "Hold"-Rating stehen.

So oder so wird sich unmittelbar alles um die Situation bei den Kundeneinlagen drehen. Diese sind im vierten Quartal im Vergleich zum Vorquartal um 37 Prozent gesunken, was zu einem Anstieg des Verhältnisses von Krediten zu Einlagen von 113 Prozent führte. Gleichzeitig sank der Liquiditätsdeckungsgrad der Bank auf 144 Prozent (Dreimonatsdurchschnitt) und damit unter den Branchendurchschnitt von 158 Prozent.

Zur Erinnerung: Die Finanzmarktaufsicht Finma untersucht Insidern zufolge möglicherweise irreführende Aussagen von Verwaltungsratschef Axel Lehmann zu den Abflüssen von Kundengeldern und hat die Credit Suisse in der Angelegenheit kontaktiert. Lehmann hatte am 1. Dezember 2022 in einem Interview mit der "Financial Times" erklärt, nach starken Abflüssen im Oktober hätten sich diese "völlig abgeflacht und teilweise gedreht". Am Tag darauf sagte er zu "Bloomberg Television", die Abflüsse seien "im Wesentlichen gestoppt". 

Ende April werden sich bei der Präsentation der Erstquartalszahlen alle Analysten und Analystinnen auf die Situation bei den Kundeneinlagen konzentrieren. Am 9. Februar hat die Credit Suisse kommuniziert, dass die Situation im Wealth Management insgesamt noch negativ sei. Venditti schliesst nicht aus, dass die CS auch für das gesamte Quartal einen Nettoabfluss kommunizieren wird.

Ziele der Credit Suisse beissen sich

Gleichzeitig sind die Kosten, um weitere Abflüsse zu verhindern und Neukunden zu gewinnen - mit Hochzinsen werden inoffiziell reiche Kunden angelockt - im Vergleich zu anderen Banken gestiegen, was die Erträge zusätzlich belastet. Doch wer bringt noch das Geld zur Krisenbank Credit Suisse, werden sich wohl viele Fragen: "Es gibt preissensitive Kunden, die dies als Gelegenheit wahrnehmen und der Ansicht sind, dass die Bank nach der Kapitalerhöhung und den weiteren Massnahmen gefestigt ist", meint Venditti. 

Die gebotenen Konditionen bedeuten aber schlussendlich, dass die Margen schmelzen. "Die Ziele ‘Geld zu verdienen’ und ‘Kunden nicht zu verlieren’ beissen sich, insbesondere in der gegenwärtigen Situation. Allerdings ist auch klar, dass kurzfristig gesehen das Argument ‘Kunden halten’ wichtiger ist als ‘Ertrag erwirtschaften’," sagt Venditti. Die Credit Suisse erwartet spätestens 2025 ein positives Ergebnis. 

Für 2025 strebt die Grossbank eine Eigenkapitalrendite von etwa 6 Prozent an, was in der Branche nicht besonders inspirierend ist. Immerhin könnten die hohen Refinanzierungskosten aber in den Folgejahren aufgrund des geringeren Finanzierungsbedarfs und der Kosten für Rechtsstreitigkeiten sinken. Und die durch die Umstrukturierung wegfallenden Personalkosten gehen auch zurück. Letztere aber teilweise unfreiwillig, da andere Banken der Credit Suisse die besten Leute abwirben - Stichwort Braindrain.  

Gewaltiger Wettbewerbsnachteil

Die Ertragsprobleme der Credit Suisse ziehen sich durchs Band - das Schweizer Geschäft stellt die stabile Ausnahme der Regel dar. Der Rückgang des Nettoumsatzes im Jahr 2022 um 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr spiegelt die Schwäche des Investmentgeschäfts und der Vermögensverwaltung wider und verdeutlicht die Marktsensitivität der Bank (50 bis 60 Prozent der Erträge entfallen auf das Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft).

Und betreffend des Kommissionsgeschäfts spielt der Credit Suisse die Markt- und Konjunkturlage nicht in die Karten. Die Leute sind zurückhaltend beim Trading und das schlägt sich auf die Erträge durch. Und beim gut laufenden Zinsgeschäft hat die Grossbank den Nachteil, dass sie gewissen Kunden mehr zahlen muss, um diese zu halten. Von der grösser gewordenen Zinsmarge profitiert die Credit Suisse viel weniger als die Konkurrenz. "Die Credit Suisse ist viel stärker verwundbar, sollten die Märkte nochmals in Turbulenzen kommen", warnt Venditti. 

Auch von einer anderen Seite droht Ungemach: Die Credit Suisse wurde im Jahr 2022 von allen drei grossen Ratingagenturen negativ bewertet. Bei S&P ist die Credit Suisse noch eine und bei Moody’s und Fitch zwei Ratingsenkungen davon entfernt, den Status "Investment Grade" für ihre Anleihen zu verlieren. Die hohen Refinanzierungskosten könnten nochmals ansteigen.

Die Möglichkeit, dass die negativen Ausblicke von Moody's und Fitch zu einer weiteren Herabstufung des Ratings führen, hat daher eine weitreichende Relevanz . Denn Konkurrenten wie die UBS haben viel höhere Ratings. Für die Credit Suisse ist dies ein gewaltiger Wettbewerbsnachteil, da die Refinanzierungskosten viel höher sind, während die Konditionen auf der Aktivseite für alle ähnlich sind. "Diese Situation drückt in gewissen Bereichen gewaltig auf die Margen und ist langfristig nicht nachhaltig", so Vontobel-Analyst Venditti.

Kapitalerhöhung eine grosse Herausforderung

Immerhin stieg die harte Kernkapitalquote der Credit Suisse dank der Bezugsrechtsemission von 4 Milliarden Franken im November von 12,6 Prozent im dritten Quartal auf 14,1 Prozent im vierten Quartal. Infolgedessen erhöhte sich der Puffer auf 3,7 Prozent (9,4 Milliarden Franken). Dies ist aber ein kleiner Trost, liegt dieser Wert unter dem Branchendurchschnitt und wird sich wohl wieder verringern, falls die Bank weiterhin unrentabel bleibt.

In diesem Sinne wäre eine weitere Kapitalerhöhung - um den regulatorischen Anforderungen zu genügen - angesichts der schlechten Aktienkursentwicklung und dem fehlenden Vertrauen eine grosse Herausforderung. Wer will schon gutes Geld schlechtem hinterherwerfen. Es fragt sich zudem, wie lange sich Bund und Behörden angesichts der Systemrelevanz aufs Zuschauen beschränken, wenn die Credit Suisse im Abwärtsstrudel gefangen bleibt.

ManuelBoeck
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