Die Blockchain kann der Finanzbranche als grosse, transparente und schnelle Datenbank Effizienz und Geschwindigkeit bringen. Unter der Technologie versteht man eine Art dezentrales Kontobuch, wo Transaktionen auf den Computern aller Benutzer festgehalten sind. Jede Transaktion erweitert die Blockchain um einen Datenblock, der dort gesichert und nachvollzogen werden kann.

Nicht nur Banken, sondern auch Versicherer machen sich Gedanken, wie die Blockchain genutzt werden kann. Paul Meeusen, der beim Rückversicherer Swiss Re als Senior Service Delivery Manager Finance tätig ist, koordniert eine Blockchain-Initiative in der Versicherungsbranche. Im Interview erklärt er, wie die Blockchain und die Digitalisierung das Geschäft verändern werden.

cash: Herr Meeusen, werden durch die Digitalisierung neue Versicherungsprodukte entstehen?

Paul Meeusen: Wenn Autofahren immer automatisierter wird und bei Autos immer mehr Funktionen gesteuert werden, wird sich beispielsweise die Motorfahrzeugversicherung neu entwickeln. Wenn im Zuge des 'Internet of Things' im Haushalt immer mehr automatisiert wird, muss eine Hausratsversicherung künftig vieles mehr abdecken als nur Diebstahl und Brand.

Wie wirkt sich die Digitalisierung generell auf den Versicherungskunden aus?

Die Digitalisierung wird zu kostengünstigeren Produkten führen. Wenn wir heute ein Auto drei Monate im Jahr nicht fahren, entfernen wir das Kennzeichen, um eine reduzierte Versicherungsprämie zu erhalten. Dank der Digitalisierung könnten wir vielleicht bald nach 'pay as you go' verfahren: Man würde also nur eine Prämie bezahlen, wenn das Auto bewegt wird. Dazu können wir die Daten des Autos automatisch ermitteln und in die Preisgestaltung übernehmen. Durch die Anwendung von Blockchain-Technologie erhöht sich genauso das Verständnis für Cyber-Risiken, was für uns und unsere Kunden neue Geschäftsfelder bedeuten kann.

Was sind dies für Geschäftsfelder?

Privatpersonen werden beispielsweise Daten versichern wollen, und nicht nur physischen Besitz. Es wird langsam relevant, virtuelle Dinge gegen Risiken zu versichern. Durch den Verlust oder Missbrauch von Daten können riesige Schäden entstehen.

Welche Initiativen verfolgt die Swiss Re bei der Blockchain-Technologie?

Swiss Re arbeitet derzeit mit einigen Kunden in der Strategie-Initiative B3i zusammen, das bedeutet Blockchain Insurance Industry Initiative. Wir schauen, was wir mit dem Ablauf eines Versicherungsgeschäfts vom Vertrag bis zum Auszahlen der Ansprüche über die Blockchain gewinnen können. Gemäss unseren Tests könnten wir etwa die Hälfe des Zeitaufwands einsparen.

Will die Swiss Re selbst Blockchain-Applikationen entwickeln und Kunden auch als Dienstleistungen anbieten?

Es ist nicht unserer Hauptziel, durch diese Initiativen Einnahmen zu generieren. Wir wollen eher Effizienz gewinnen, Kundenzufriedenheit erhöhen und Kosten optimieren. Wir sind keine IT-Firma, sondern unsere primäre Motivation ist, uns mit der Problemstellung auseinanderzusetzen. Wir sehen, dass Blockchain-Technologie viele Eigenschaften hat, die im Ablauf von Versicherungsprozessen die Einheitlichkeit und die Geschwindigkeit markant verbessern kann.

Fürchtet sich die Versicherungsbranche vor der Blockchain und der Digitalisierung als Disruptor?

Disruptoren sind ja nicht per se etwas Negatives. Digitale Vergleichsportale für Versicherungsprodukte wirken schon jetzt als neuer Vertriebskanal. Im Hintergrund sind es immer noch die bestehenden Versicherer, die ihre Produkte vertreiben, aber der Mehrwert eines Zwischenhändlers, Maklers oder Brokers wird in Frage gestellt. Das ist aber nicht anders, wie wenn Tesla traditionelle Autoverteiler in Frage stellt.

Wie wird Swiss Re betroffen sein?

Der Makler beziehungsweise Broker hat beim Zeichnen der Risiken und in der Abwicklung eine wesentliche Rolle. Vor allem im Abwicklungsprozess, so glauben wir, wird es noch zu einer viel stärkeren Automatisierung kommen. Die Rolle von Maklern und Brokern wird dadurch bestimmt neu definiert. Da sehe ich einen Disruptor-Effekt.

Wie schätzen Sie Anbieter wie Amazon oder Google ein, die selbst ins Versicherungswesen vordringen?

Es gibt die Technologiefirmen, deren DNA darin besteht, mit Daten umzugehen. Sie sind bereits in Nebengeschäfte eingestiegen und bieten kleinere Versicherungsprodukte an, oder sie bieten Zahlungsverkehr an. Für Amazon beispielsweise ist es natürlich ein Vorteil, Kundendaten aus Nutzerprofilen bereits zu kennen und so Produkte anbieten können. Zum Beispiel: Sie lesen viel über Kunst, dann müsste ihr Kunstbesitz vielleicht in der Haushaltpolice aufgenommen werden. Damit sind diese Anbieter ein möglicher Disruptor für uns. Andererseits kennen diese Unternehmen das Versicherungsgeschäft weniger gut und würden ein gewisses Volumen brauchen, damit die Risiken modelliert und ausgeglichen werden können. Daher kann es da von beiden Seiten her zur Disruption kommen.

Wie ist der aktuelle regulatorische Status einer digitalisierten Versicherungswirtschaft?

Im Zusammenhang mit unserer Initiative B3i haben wir nur reaktiv Gespräche mit Regulatoren geführt. Unsere Kollegen in Deutschland haben zu Informationszwecken ebenfalls Gespräche mit dem Regulator geführt. Daraus wissen wir, dass der Regulator tendenziell mehr Vor- als Nachteile sieht. Richtig aufgesetzt kann ein Netzwerk wie die Blockchain zu einer 'single version of the truth‘ führen, also eine einheitliche Betrachtung ermöglichen. Dies ist für den Auditor oder Regulator eine gute Basis, um Abläufe nachvollziehen zu können.

Wo sehen die Regulatoren sonst noch Vorteilte?

Der Regulator findet es spannend, dass dank der Blockchain oder dank Kryptowährungen wie Bitcoin der Zahlungsverkehr als Dienstleistung besser von anderen Dienstleistungen getrennt werden kann. Die Banken haben ja Kapitalvorschriften, weil sie das Geld auf unseren Konten für andere Aktivitäten verwenden, die mit Risiken verbunden sind – vom der Hypothek bis zum Investmentbanking. Mit der Blockchain-Technologie könnte man das normale Kundenkonto vom Rest trennen, so den Zahlungsverkehr zu einem eigenen Geschäft machen, und das würde für die Banken weniger Kapitalvorschriften bedeuten.

Weswegen aber sehen die Regulatoren auch Nachteile?

Ein Regulator will wie ein Risikomanager sehen, dass die bekannten Gefahren abgedeckt sind: Die Privatsphäre, das generelle Risiko der IT-Sicherheit, aber auch die mögliche Kartellbildung. Ein gemeinsam geführtes Netzwerk kann natürlich schnell zu einer Konzentration von Marktmacht führen, in der dominante Player die Kontrolle übernehmen.