Unter Ökonomen gilt es als ausgemachte Sache, dass die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde die Schlüsselsätze auf ihrer Sitzung am Donnerstag um einen halben Prozentpunkt anheben werden. Es wäre bereits die sechste Erhöhung in Folge seit der Zinswende im Juli 2022. Den Experten zufolge ist damit aber noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. "Die Inflation hält die europäischen Währungshüter weiter auf Trab", meint DZ-Bank-Analyst Christian Reicherter. Ökonomen erwarten, dass Lagarde & Co in den kommenden Monaten die Zinszügel noch weiter straffen werden.

Mit einem deutlichen Zinsschritt am Donnerstag würde der Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten und der aktuell als der richtungsweisende Zins gilt, auf 3,00 Prozent steigen. Noch im Juni 2022 hatte er bei minus 0,50 Prozent gelegen - was Strafzinsen für die Banken bedeutete.

"Die Arbeit der Europäischen Zentralbank ist noch lange nicht getan, um ihr mittelfristiges Inflationsziel zu erreichen", sagt etwa Europa-Volkswirtin Ulrike Kastens von der Fondsgesellschaft DWS. Die EZB peilt zwei Prozent Teuerung für den Euro-Raum an. Davon ist sie aktuell meilenweit entfernt: Im Februar schwächte sich die Teuerung in der 20-Länder-Gemeinschaft nur minimal ab auf 8,5 Prozent von 8,6 Prozent im Januar. Die Kernrate, in der die schwankungsreichen Preise für Energie- und Lebensmittel ausgeklammert sind, stieg sogar von 5,3 Prozent im Januar auf 5,6 Prozent im Februar an.

"Es steckt genügend Druck in der Pipeline, der auch in Zukunft für eine höhere Kernteuerung spricht", meint etwa Commerzbank-Volkswirt Marco Wagner. Er verweist auf steigende Löhne im Euro-Raum und Hinweise darauf, dass Unternehmen zuletzt ihre Gewinnmargen auch durch kräftige Preiserhöhungen ausgeweitet haben. Mehrere Währungshüter hatten sich unlängst wegen der anhaltend hohen Kerninflation besorgt gezeigt. Denn dies könnte darauf hindeuten, dass sich der Preisschub viel langsamer abschwächt als bislang gedacht.

Womöglich weitere deutliche Zinsschritte der EZB

Mit Spannung wird daher erwartet, wie sich Lagarde auf der Pressekonferenz nach dem Zinsbeschluss zum weiteren Zinserhöhungspfad äussert. Einige Ratsmitglieder hatten bereits dafür argumentiert, dass nach der März-Sitzung womöglich weitere deutliche Zinsschritte nach oben notwendig sein könnten, um die Inflation zurückzudrängen. Andere Euro-Wächter wiederum hatten zur Vorsicht geraten. Wichtige Entscheidungshilfen dürften neue Konjunktur- und Inflationsprognosen der EZB-Volkswirte liefern, die den Währungshütern zur Sitzung nächste Woche vorliegen werden.

Ruben Segura-Cayuela, Volkswirt bei der Bank von Amerika, geht davon aus, dass die die EZB-Ökonomen ihre Projektionen zur Kerninflation anheben aber ihre Prognosen für die Gesamtinflation etwas abschwächen werden. "Wir glauben, dass diese Änderungen die Meinungsverschiedenheiten im EZB-Rat verstärken werden", schätzt er und erwartet daher nur ein schwaches Signal in Richtung einer weiteren Zinsanhebung um 0,50 Prozentpunkte im Mai. Um sich auf einen Kurs über den Mai hinaus zu einigen, seien die Euro-Wächter zu uneins. "Das Risiko ist, dass wir nicht einmal einen Hinweis darauf bekommen, was nach der nächsten Woche kommen wird", meint der Experte.

Zinssatz von über vier Prozent zunehmend denkbar

Die Experten der Deutschen Bank rechnen damit, dass die Orientierung etwas klarer ausfallen werde. "Wir erwarten, dass Präsidentin Lagarde zumindest andeuten wird, dass die aktuellen Daten nicht im Einklang stehen mit einer Abschwächung des Tempos bereits im Mai", schreiben sie in ihrer Vorschau. Sie gehen von einer weiteren Anhebung um 0,50 Prozentpunkte im Mai aus gefolgt von einem kleineren Schritt um einen Viertel-Prozentpunkt im Juni. "Angesichts des Tons des EZB-Rats halten wir einen Zinssatz von über vier Prozent zunehmend als denkbar", führten sie aus.

Dies ist die Prognose von Commerzbank-Volkswirt Wagner. "Im Juli sollte mit einem Einlagensatz von vier Prozent das Zinshoch erreicht sein", schätzt der Experte. Dann werde voraussiochtlich auch die Kerninflation zumindest eine Trendwende nach unten erkennen lassen. Allerdings wird diese aus seiner Sicht voraussichtlich nur sehr langsam vonstattengehen. An den Terminmärkten wird der Zinshöhepunkt derzeit ebenfalls bei 4,00 Prozent verortet.

(Reuters)