cash.ch: Wie bei Donald Trump wurden auch im Haus von US-Präsident Joe Biden Geheim-Dokumente gefunden. Sie stammen aus seiner Zeit als US-Vizepräsident. Wie gross wird das Thema gehandelt in den USA?

Sandra Navidi: Die Republikaner greifen das bei jedem Anlass auf, um ihre demokratischen Gegner zu diskreditieren. Der Unterschied zu den Dokumenten bei Trump ist: Die ehemalige US-Präsident hatte diese absichtlich und heimlich mitgenommen, er hielt sie versteckt und weigerte sich, die Papiere herauszurücken. Michael Cohen, der als Anwalt für Trump jahrelang der Handlanger war und dann im Gefängnis landete, geht davon aus, dass Trump die Dokumente absichtlich mitgenommen hat. Um politische Gegner zu erpressen, oder um die Dokumente als Tauschmittel einzusetzen für möglichen Straferlass oder Strafmilderung. Bei Biden dagegen sollte man zunächst davon ausgehen, dass es ein Versehen oder Schlamperei war und dass dies nicht vorsätzlich und auch nicht zu politischen Zwecken geschah.

Trotzdem staunt man über solche Dinge. Die Dokumente sollen in Bidens Garage gefunden worden sein. Ein Senator der Republikaner bezeichnete Biden als «Heuchler» oder als «völlig ahnungslos». Zumindest letzteres ist wohl naheliegend...

Es sieht generell wohl so aus, dass viele ehemalige US-Präsidenten nicht alle Geheimdokumente abgegeben haben - ob absichtlich oder nicht. Erst mit Trump wurde ein Schlaglicht auf dieses Problem geworfen. Die Angelegenheit wird Biden zweifellos schaden. Der Vorwurf der Heuchelei steht natürlich im Raum. Und man kann ihn kaum von der Hand weisen.

Bei Biden wurde eine Untersuchung durch einen ehemaligen US-Staatsanwalt eingeleitet. Wie schwerwiegend ist das?

Diese Tatsache macht die Sache für Biden nicht gut.  Man darf nicht vergessen, dass es in den USA viele Wechselwähler gibt. Die ganze Angelegenheit passt jedenfalls ins Bild, wie Biden von den Republikanern oft dargestellt wird. Als zu alt, als leicht debil. Was bei Trump durchgeht, schadet «normalen» Politikern wie Biden.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Biden nochmals zu den Präsidentschaftswahlen im November 2024 antritt?

Die Entscheidung steht kurz bevor. Biden hat ja schon gesagt, dass er nochmals antreten will. Ich glaube, er hat auch gute Karten bei den Demokraten. Die Resultate bei den Midterm-Wahlen waren zwar knapp, aber historisch beispiellos. Und selbst mit dem Alter und der ganzen Kritik stellt Biden das geringste Risiko für die Demokraten dar. Klar, er ist eine suboptimale Lösung, weil es auch gute Nachwuchspolitiker bei den Demokraten gibt. Bei diesen weiss man aber nicht, wie wählbar er oder sie sind. Zudem braucht man ein paar hundert Millionen Dollar, um  einen Wahlkampf stemmen zu können. Biden hat das schlussendlich Grossväterliche, und die Leute haben ihm vertraut. 

Donald Trump hat bei den Kongresswahlen überraschend schlecht abgeschnitten. Kann er sich von dieser Schlappe erholen?

Ich weiss nicht, weshalb viele Leute das überraschend fanden. Nach der gewonnenen Präsidentschaftswahl 2018 hat er alles danach verloren. Für sich selbst und für seine Partei. Deshalb war der Ausgang der Kongresswahlen ein erwartbares Ergebnis. Ich glaube aber nicht, dass ihm dies unbedingt schaden muss. Es gibt eine Minderheit bei den Republikanern, die hinter ihm steht. Eine ganz kleine Minderheit ist explizit gegen ihn. Die grosse Mehrheit der Republikaner schweigt. Wenn man zurückblickt und schaut, wie sich diese schweigende Mehrheit in der letzten Wahl verhalten hat, ist anzunehmen, dass sie sich wieder Trump stellen würden, sollte er sich bei der Präsidentschaftsdebatten als Spitzenreiter herauskristallisieren.

Warum?

Trump ist charmant und hat einen Unterhaltungswert. Amerikaner müssen unterhalten werden. Alles, was langweilig oder trocken ist, hat keine Chance.

Bei den Republikanern gibt es grosse Richtungskämpfe. Ron de Santis, dem Gouverneur Floridas, werden grosse Chancen bei der Debatte eingeräumt. Wie schätzen Sie das ein?

Trump wird aller Wahrscheinlichkeit wieder antreten für die Wahlen. Ich sehe keinen republikanischen Kandidaten, der bei der Ausmarchung gegen Trump eine Chance haben könnte. Trump wird sie rechts und links aus dem Rennen kegeln. Der einzige, der Trump rhetorisch das Wasser reichen könnte, wäre vielleicht Anthony Scaramucci.

Die Inflation trifft auch in den USA vor allem die unteren Einkommensschichten. Gerät die Regierung Biden auch mit Blick auf die Wahlen 2024 hin nicht unter zunehmenden Druck, sollte die Fed die Inflation nicht unter Kontrolle kriegen?

Natürlich. Aber das wirtschaftliche Gesamtbild sieht noch immer gut aus. Die Löhne sind etwas gestiegen, die Arbeitslosigkeit ist noch immer relativ gering, der Höhepunkt der Inflation ist überschritten. Und wichtig für die Amerikaner: Der Benzinpreis ist gesunken.

Mit den Zinserhöhungen droht die nächste Gefahr: Eine Rezession.

Die Federal Reserve legt es ja geradezu darauf an, dass wir zumindest eine technische Rezession erleben werden. Wenn keine zusätzlichen Risiken dazukommen, gehe ich davon aus, dass eine Rezession verkraftbar sein wird und die normalen Bürger kaum merken werden. Die Fed hat bislang einen ganz guten Job gemacht. Sie werden die Zinsen wohl nochmals um 0,25 Prozent erhöhen und dann abwarten. Ich sehe nicht, dass die Fed in diesem Jahr die Zinsen senken wird. Wahrscheinlich auch nicht im nächsten Jahr.

In den nächsten Tagen legen die grosse US-Technologiefirmen die Jahreszahlen vor. Was kann man da erwarten, auch aufs ganze Jahr?

Bei den Tech-Werten muss man unterscheiden. Die sind in sehr unterschiedlichen Geschäftsfeldern tätig. Ich glaube, Microsoft und Amazon sind langfristig gut aufgestellt. Zuversichtlich bin ich für die Branchen Cybersicherheit und Biotechnologie. Tesla hatte den Vorteil des Angreifers. Den hat Elon Musk aber verspielt, indem er sich verzettelt und und seine Firma verpolitisiert hat. Das schadet der Marke. Mit Blick auf die Börse könnte das eine Chance für andere Autohersteller sein, auch in Deutschland. 

Wie wird Elon Musk in der breiten US-Bevölkerung wahrgenommen? 

Wir haben in den USA eine Heldenverehrung, die ich auch in meinem neuen Buch “Die DNA der USA” beschrieben habe. Wer Geld und Erfolg hat, der hat die Meinungsmacht und wird als unangreifbar erachtet. Wer einmal oben ist, kommt kaum mehr herunter. Musk ist aber einer der wenigen Fälle, bei dem nun ein bisschen das Gegenteil eingetreten ist. Er ist durch extreme Äusserungen mitunter mit rechtsradikalem Unterton aufgefallen und er hat zweifelhafte Geschäfte getätigt, zum Beispiel Twitter. Musks Image ist total angekratzt.

Seine Errungenschaften bei Tesla sind aber unbestritten.

Musk ist eine narzisstisch-egomanische Persönlichkeit, die man vielleicht auch braucht, um davon überzeugt zu sein, Aussergewöhnliches zu schaffen. Und um andere zu überzeugen und mitzunehmen mit dem Enthusiasmus. Die Technik seiner Autos hat er nicht selbst entwickelt, er hat aber suggeriert, er sei das gewesen. Er hat mit den vielen Subventionen unglaublich vom Staat profitiert, obwohl er diesen ständig verteufelt. Beim Raumfahrtunternehmen SpaceX ist der Staat der grösste Kunde. Ich glaube, dass Musk sich selbst überschätzt - und dass er überschätzt wird.

Die Rechtsanwältin und Wirtschaftsexpertin Sandra Navidi ist Gründerin und CEO der Unterehmensberatungsfirma BeyondGlobal und lebt seit über 20 Jahren in New York. Zuvor arbeitete sie unter anderem im Beratungsunternehmen des Ökonomen Nouriel Roubini. Sandra Navidi ist Autorin der Bücher "Super-hubs: Wie die Finanzelite und ihre Netzwerke die Welt regieren", "Das Future-Proof-Mindset" und “Die DNA der USA”.