Angesichts vielfach unerwartet grosser Herausforderungen streicht die Energiebranche hochfliegende Projekte und kürzt Investitionen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass klimaschädliche fossile Brennstoffe noch länger dominieren als bisher geplant. Selbst Branchen wie Stahl und Verkehr, die als ideale Abnehmer galten, müssen feststellen, dass der Umstieg auf den klimaneutralen Brennstoff derzeit unbezahlbar erscheint.
Grüner Wasserstoff wird mittels Elektrolyse hergestellt. Mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Dass dies sehr energieintensiv ist, soll angesichts der unbegrenzten Verfügbarkeit von Sonne und Wind keine Rolle spielen - zumindest in der Theorie. Weil bei diesem Prozess keine klimaschädlichen Gase entstehen, gilt so erzeugter Wasserstoff als «grün». Im Gegensatz dazu wird sogenannter «grauer» Wasserstoff aus Erdgas und Kohle gewonnen. Das ist zwar billiger, setzt aber erhebliche Mengen an klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) frei.
Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Europa zeigt das Ausmass der Neuorientierung. Nur etwa ein Fünftel der in der EU geplanten Wasserstoffprojekte dürfte bis zum Ende des Jahrzehnts tatsächlich in Betrieb gehen, wie das Forschungsunternehmen Westwood Global Energy schätzt. Dies entspreche einer Produktionskapazität von rund zwölf Gigawatt (GW) gegenüber einem EU-Ziel von 40 GW. «So wie die Dinge stehen, erwarte ich nicht, dass das EU-Ziel für 2030 erreicht wird», sagte Jun Sasamura, Wasserstoff-Manager bei Westwood.
Unternehmen verweisen auf hohe Kosten und eine fehlende Nachfrage, was viele Pläne unrentabel mache. «Grüner Wasserstoff war eine überzogene Erwartung, die sich in ein Tal der Enttäuschungen verwandelt hat», sagt der Chef des portugiesischen Energiekonzerns EDP, Miguel Stilwell d'Andrade. «Was fehlt, ist die Nachfrage. In Spanien und Portugal gibt es Subventionen von 400 Millionen Euro für Wasserstoff. Aber wir brauchen jemanden, der den Wasserstoff auch kauft.» Sein Unternehmen sowie der spanische Konkurrent Iberdrola haben nach eigenen Angaben Projekte auf Eis gelegt, da es an Abnehmern fehle.
«Wirtschaftlicher Selbstmord»
Die Produktion von grünem Wasserstoff ist nach wie vor deutlich teurer als traditionelle Alternativen. Ein Beispiel aus Deutschland verdeutlicht das Problem: Die Schmiede Dirostahl im Bergischen Land könne grünen Wasserstoff für nicht weniger als 150 Euro je Megawattstunde (MWh) beziehen, während Erdgas nur 30 bis 35 Euro koste, erklärt Geschäftsführer Roman Diederichs. «Man will es vielleicht nicht wirtschaftlichen Selbstmord nennen, aber in der Praxis wäre es genau das.» Analysten gehen davon aus, dass grüner Wasserstoff nicht vor 2035 bis 2040 wettbewerbsfähig sein wird.
Ein weiteres Problem ist die fehlende Infrastruktur. Wasserstoff ist schwer zu lagern und zu transportieren, da er Hochdrucktanks oder extrem niedrige Temperaturen benötigt und aus alten Gaspipelines leicht entweicht. Spanien hofft, bis etwa 2030 ein betriebsbereites Netz zu haben, für die europäische Infrastruktur seien allerdings Verzögerungen von zwei bis drei Jahren wahrscheinlich, sagte Arturo Gonzalo, Chef des spanischen Gasnetzbetreibers Enagas. «Infrastruktur entsteht nicht erst, wenn der Markt bereits läuft. Sie muss entstehen, damit der Markt überhaupt erst ins Laufen kommt.»
Staaten verlieren Interesse
Die Folge ist, dass auch Regierungen ihre Ambitionen zurückschrauben. Italien hat kürzlich mehr als 600 Millionen Euro aus Fonds zur Linderung der Folgen der Corona-Pandemie umgeschichtet - von Wasserstoff auf Biomethan. Frankreich senkte sein Elektrolyse-Ziel für 2030 um mehr als 30 Prozent. Portugal reduzierte seine Pläne um 45 Prozent. Die Niederlande kürzten Mittel für Wasserstoffprojekte ebenfalls und wollen sich auf den Bau zweier neuer Atomkraftwerke konzentrieren. Auch in Australien wurden trotz staatlicher Förderzusagen in Milliardenhöhe Projekte zurückgefahren oder aufgegeben.
Selbst wenn man die Produktionskapazitäten für «grünen» und nicht ganz so klimaschonend hergestellten Wasserstoff zusammenrechnet, ist die Differenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit enorm. Nach Angaben des Beratungsunternehmens Wood Mackenzie sind weltweit Anlagen mit einer jährlichen Produktionskapazität von klimaschonendem Wasserstoff von nur sechs Millionen Tonnen in Betrieb oder im Bau. Dies liegt weit unter den 450 Millionen Tonnen, die nach Einschätzung der Berater notwendig wären, um das globale Ziel von Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2050 zu erreichen.
(Reuters/cash)
3 Kommentare
würde man das potenzial den wasserstoff bieten kann optimal nutzen wäre es mehr als rentabel.... dazu müsste aber die sichtweise vom verlust erzeugung zum endnutzen beiseite gelegt werden und aus die sicht des speichers von überschuss zu mangelzeiten fokusiert werden.
bestes beispiel : stromnetz sommer / winter.... im sommer zu viel sodas die erzeugung grünen stroms sogar abgeschalten werden muss , im winter verheizen wir dann gas und öl um die lücke zu füllen..... sehr sinnvoll -.-
gäbe es zugang zu bezahlbaren EFH tauglichen produktions und lager einheiten in grösse 2 kw sind alle stromnetzprobleme zum grossen teil gelöst. der sommer überschuss der PV verschwindet und die winterlücke wird vermindert.... kein grund mehr über netzausbau zu diskutieren. wird die anlage ins hausnetz integriert ist es möglich mit der abwärme sogar zu heizen und warmwasser zu bereiten... lässt man dann noch zu das die anlagen via rundsteuerempfänger vom EVU angesteuert werden können kommt es zur totalen lastspitzenkappung.... viele unsinnige und teure projekte wären damit hinfällig
Ich bin immer wieder erstaunt wie x-Jahrzehnte nach dem Postulieren von vernetztem Denken noch immer eindimensonal nach Lösungen gesucht wird. Wir stehen vor dem, in menschlichen Zeiträumen gedachten, Problem unwiederbringlich unsere Lebensgrundlage zu verlieren und wir verlieren uns in den Fragestellungen welche Energieform darf es den sein. Dabei ginge es um die Vernetzung der verschiedenen erneuerbaren Energieformen die täglich gratis bei uns anfallen. Dabei müsste aber die Energiegewinnung von der Basis her gedacht werden. Jede Region hat ihre spezifischen Möglichkeiten zur Energiersorgung beizurtragen, die einerseits den lokalen Bedarf bedienen und die Überschüsse an Strom, Biogas oder Biomasse, Holz, Wärme abgeben. Zudem sind wir bei der Energieeffizienz noch lange nicht am Ende. Z.B. wollte ich bei meiner PV-Anlage die unter den Modulen enstehende Wärme (auch im Winter) absaugen und vor die Wärmepumpe führen, die damit effizienter arbeiten würde. Stromersparnis im Winter 10-15%. Interessiert aber kaum jemanden. Lieber nach teuren AKWs verlangen. Bei uns hat sich bis weit in den Staat hinein ein BWL Denken durchgesetzt, das bei dieser Problemslösung den volkswirtschaftlichen Notwendigkeiten diametral entgegengesetzt ist. Dadurch schafft es die Politik auch nicht den Rahmen für den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern zu setzten und durchzuhalten. Der Weltweite Backlash in Sachen Nachhaltigkeit ist Beweis dafür, dass wir noch nicht verstanden haben über unsere unmittelbare Lebenssituation hinaus unser Leben zu vertehen und zu schützen.
Es geht nicht um Wasserstoff ja nein! Es geht darum welche Rolle übernimmt Wasserstoff im Verbund der künftigen Energieversorgung.
Warum hat auch niemand auf Elon gehört, als er schon vor Jahren sagte, Wasserstoff sei der komplett falsche Weg?
Siehe das Interview bei der Eröffnung von Giga Berlin...
Warum sollte man Geld investieren in etwas, das Elektrizität benötigt, um einen Energiespeicher herzustellen, nur um dann durch Verbrennung wieder in Elektrizität umgewandelt wird, anstelle von direkter Elektrizitätseinspeisung? Dann auch ein ganzes Transport- und Lagersystem, um den Wasserstoff physisch an Ort zu bringen, um ihn mithilfe von Strom in die Tank von Wasserstoffautos zu füllen? Man kann ja nicht einmal bestehende Benzintankstellen benutzen, weil Wasserstoff völlig andere Eigenschaften als Diesel oder Benzin hat.
Das macht nur schon rein physikalisch null Sinn, geschweige denn wirtschaftlich.