Mit einer Welle an Ereignissen kehren die Anleger aus den Sommerferien in eine Phase zurück, die richtungsweisend für den Rest des Jahres sein dürfte. Neue Arbeitsmarktdaten, ein wichtiger Inflationsbericht sowie der Zinsentscheid der US-Notenbank Fed stehen bevor.

Der Zeitpunkt ist brisant: Der S&P 500 hat im August lediglich den kleinsten Monatsanstieg seit Juli 2024 verzeichnet und tritt in den September ein – historisch gesehen der schwächste Börsenmonat des Jahres. Gleichzeitig ist die Volatilität fast vollständig verschwunden: Der Volatilitätsindex VIX lag seit Ende Juni nur ein einziges Mal über der Marke von 20.

Zudem hat der S&P 500 seit 91 Handelstagen keinen Rückgang von mehr als 2 Prozent erlebt – die längste Phase dieser Art seit Juli 2024. Am 28. August markierte der Index bei rund 6’502 Punkten ein neues Rekordhoch und liegt seit Jahresbeginn 9,8 Prozent im Plus, nach einem Anstieg von 30 Prozent seit dem Tief vom 8. April.

«Es ist richtig, dass Anleger im September vorsichtig sind», sagt Thomas Lee, Forschungschef bei Fundstrat Global Advisors. «Die Fed startet nach langer Pause wieder einen Zinssenkungszyklus. Für Trader macht das die Positionierung schwierig.» Der langjährige Börsenoptimist rechnet mit einem Rückgang des S&P 500 um 5 bis 10 Prozent im Herbst, bevor dieser bis Jahresende wieder auf 6800 bis 7000 Punkte steigen könnte.

Unheimliche Ruhe

Lee ist mit seiner Skepsis für die kommenden Wochen nicht allein. Auch andere bekannte Optimisten an der Wall Street zeigen sich angesichts der auffallenden Ruhe besorgt – gerade weil der September traditionell schwach ist. In den letzten drei Jahrzehnten verlor der S&P 500 im Schnitt 0,7 Prozent in diesem Monat, in vier der letzten fünf Jahre schloss er mit einem Minus, so Bloomberg-Daten.

Den Auftakt macht am Freitag der monatliche Arbeitsmarktbericht. Laut einer Bloomberg-Umfrage erwarten Ökonomen rund 75’000 neue Stellen. Bereits Anfang August rückten die Jobzahlen in den Fokus, nachdem das Bureau of Labor Statistics (BLS) die Beschäftigtenzahlen für Mai und Juni um fast 260’000 nach unten korrigiert hatte – was Ex-Präsident Donald Trump zu heftigen Vorwürfen veranlasste; er feuerte die Chefin der Behörde und warf ihr politische Manipulation vor. Am 9. September folgt die nächste grosse BLS-Revision, die weitere Korrekturen nach sich ziehen könnte.

Am 11. September erscheint der Konsumentenpreisindex (CPI), zwei Tage später gibt die Fed ihren Zinsentscheid sowie neue Projektionen bekannt. Im Anschluss stellt sich Fed-Chef Jerome Powell den Fragen der Presse. Laut Terminmärkten liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Zinssenkung bei rund 90 Prozent. Am 19. September folgt zudem das sogenannte «Triple Witching», bei dem eine Vielzahl aktiengebundener Derivate ausläuft – was traditionell für erhöhte Schwankungen sorgt.

Trotz dieser Fülle an Unsicherheiten zeigen sich viele Anleger erstaunlich gelassen. Hedgefonds und andere Spekulanten setzen in grossem Stil auf fallende VIX-Werte – so stark wie seit drei Jahren nicht mehr. Für den Arbeitsmarktbericht signalisieren Optionsmärkte lediglich ein erwartetes Schwankungsrisiko von 0,85 Prozent, was Experten wie Stuart Kaiser von Citigroup als Unterbewertung ansehen.

Risiko einer plötzlichen Turbulenz

Historisch betrachtet, kündigen solch ruhige Phasen und extreme Positionierungen häufig einen plötzlichen Anstieg der Volatilität an. So etwa im Februar, als der S&P 500 ein Hoch markierte und die Kurse danach wegen Sorgen um neue US-Zölle abrupt schwankten. Auch im Juli 2024 setzten viele Anleger massiv auf fallende VIX-Werte – kurz bevor die Auflösung des Yen-Carry-Trades im August die Märkte durcheinanderwirbelte.

Der VIX kletterte am Freitag zwar wieder Richtung 16, bleibt aber noch immer fast 20 Prozent unter seinem Einjahresdurchschnitt.

Fundamental stützt sich die Rally allerdings auf eine robuste Konjunktur trotz der Zollpolitik von Donald Trump sowie auf starke Unternehmensgewinne. Laut der jüngsten Fondsmanager-Umfrage der Bank of America sind die Anleger so optimistisch für US-Aktien wie zuletzt im Februar; die durchschnittliche Barquote liegt mit 3,9 Prozent auf einem historisch niedrigen Niveau.

Doch gerade das führt zum nächsten Problem: Mit steigenden Kursen wächst die Sorge vor einer Überbewertung. Der S&P 500 wird derzeit zum 22-Fachen der von Analysten erwarteten Gewinne für die nächsten zwölf Monate gehandelt – teurer war er seit 1990 nur auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase und während des Tech-Booms nach der Corona-Pandemie.

«Wir setzen auf Big Tech», sagt Tatyana Bunich, Gründerin von Financial 1 Tax. «Aber die Bewertungen sind hoch. Deshalb halten wir aktuell etwas Cash zurück und warten auf eine Korrektur, um wieder einzusteigen.»

Auch der bekannte Stratege Ed Yardeni zeigt sich vorsichtiger. Er zweifelt daran, dass die Fed im September tatsächlich die Zinsen senkt – ein Szenario, das die Märkte kurzfristig belasten würde.

Der Grund: Die Inflation bleibe ein Risiko. «Ich erwarte, dass die Rally bald ins Stocken gerät», so Yardeni. «Der Markt preist gerade sehr viel Optimismus ein. Sollten Arbeitsmarkt und Inflation überraschend stark ausfallen, könnte das Zinssenkungsszenario ins Wanken geraten – und eine Korrektur auslösen. Aber mittelfristig sollten die Kurse wieder steigen, weil die Fed aufgrund der robusten Konjunktur ohnehin nur begrenzt Spielraum für Zinssenkungen hat.»

(Bloomberg)