cash.ch: Nach der Bekanntgabe der neuen Eigenkapitalvorschriften Anfang Mai stieg die UBS-Aktie kurzzeitig an. Seither befindet sie sich im Rückwärtsgang und notiert auf dem tiefsten Stand seit sechs Wochen. Ist nun alles Negative eingepreist?

Andreas Venditti: Wenn sich die UBS-Aktie über die letzten zwölf Monate gleich entwickelt hätte wie der Schnitt der europäischen und britischen Bankenkonkurrenz, so würde der Titel um über 60 Prozent höher stehen - oder beinahe 40 Prozent höher im Vergleich zur amerikanischen Konkurrenz. Insofern ist es nicht abwegig, von einem deutlichen zweistelligen Milliardenbetrag zu sprechen, der die Unsicherheit bis jetzt an Börsenkapitalisierung gekostet hat.

Die Verordnung und die neuen Eigenkapitalvorschriften beschäftigen die Anlegerinnen und Anleger. Mit der Verordnung werden die Verlustvorträge und aktivierte Software per 1.1. 2027 komplett gestrichen? 

Diese Massnahme geht sehr viel weiter als das Regelwerk Basel III oder die Regeln, welche die USA, Europa oder Grossbritannien vorschreiben. Es erhöht jedoch die Kapitalqualität und macht zur Stärkung der Bilanz Sinn. Da es sich bei der UBS um einen Betrag von rund 14 Milliarden Dollar handelt, ist das ein signifikanter Faktor.

Hierzu wurde bisher keine Übergangsphase von den Behörden kommuniziert. Was wären die Auswirkungen?

Eine unmittelbare Einführung per 1. Januar 2027 hätte einen grossen Einfluss auf die Aktienrückkäufe im Jahr 2026. Bei Regulierungsanpassungen wurde bisher stets eine mehrjährige Übergangsphase gewährt. Die mangelnde Kommunikation erhöht die Unsicherheit in Bezug auf mögliche Aktienrückkäufe.

Diese Eigenkapitalanforderungen hat die UBS in ihrer Stellungnahme zum Beschluss des Bundesrates scharf kritisiert.

Die UBS hat den vollständigen Abzug gewisser Kapitalkomponenten richtigerweise als nicht vereinbar mit den internationalen Regeln bezeichnet. Der zweite Kritikpunkt der Grossbank bezieht sich auf die Eigenmittelunterlegung der Tochtergesellschaften im Ausland. Das ist zwar eine der Lehren aus der Credit-Suisse-Krise. Allerdings waren die grossen Auslandseinheiten der Credit Suisse primär im Investmentbanking tätig. Das heisst volatil, risikoreich und kapitalintensiv. Das war das Problem.

Und die UBS? 

Die DNA der Credit Suisse war geprägt von der Corporate- und Investmentbank. Dies machte es schwierig, eine massive Verkleinerung der Investmentbank zu beschliessen. Bei der UBS war der Entscheid zur Verkleinerung der Investmentbank nach der Finanzkrise 2008 dagegen wesentlich einfacher, als diese vom Bund gerettet werden musste. Diese Nahtoderfahrung prägt die UBS bis heute.

Sie erwarten, dass die UBS die Eigenkapitalanforderungen so erfüllen muss, wie dies der Bundesrat vorgeschlagen hat?

Egal ob links oder rechts, Politiker werden kaum viel gewinnen, wenn sie versuchen, der UBS entgegenzukommen. Darum erwarte ich derzeit kein grosses Entgegenkommen. Immerhin haben wir beim Gesetzesvorschlag zu den Eigenmittelvorschriften eine Übergangsfrist, die mindestens sechs bis acht Jahre beträgt. Das ist in meinen Augen vernünftig.

Ist das lang genug, um den Eigenkapitalaufbau in einem vernünftigen Rahmen zu bewerkstelligen?

Ja - unter der Voraussetzung, dass die Integration der CS in den nächsten zwei Jahren erfolgreich abgeschlossen werden kann und die Märkte stabil sind. Dann müsste eigentlich der Gewinn in Richtung zehn Milliarden Franken gehen und würde neben den etwa drei Milliarden Franken für den Kapitalaufbau pro Jahr genügend Platz lassen für Aktienrückkäufe und die Steigerung der Dividenden über die nächsten Jahre. Das ist so weit, so gut. Das Problem ist in meinen Augen aber eher der Endzustand. UBS muss dann die mit Abstand höchsten Kapitalanforderungen einhalten, was im globalen Wettbewerb schwierig ist.

Betreffen die höheren Eigenkapitalvorschriften auch das Wealth Management?

Das Problem gilt auch im Wealth Management, insbesondere in den als Wachstumsregion definierten USA. Die neuen Vorschriften verteuern das angestrebte Wachstum und dürften zu einer Anpassung der Strategie führen. Diese Unsicherheit ist nicht hilfreich.

Wie rasch wird die UBS ihre Strategie anpassen?

Die UBS muss jetzt nicht alles von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Entscheide können auch erst getroffen werden, wenn die definitiven Regeln stehen. Das Problem sind jedoch die Investoren und Analysten, die sofort Antworten haben wollen, um die Situation rasch besser einzuschätzen.

Aufgrund der Bewertungsdifferenz macht ein Verkauf der Aktie aber auch keinen Sinn? 

Läuft alles planmässig, geht es bei der Ertragskraft der UBS weiter in die richtige Richtung. Aktuell wird die UBS zu einem Buchwert von 1,1 gehandelt, Morgan Stanley bei 2,2. Ein Verkauf drängt sich nicht auf, aber Geduld ist gefragt.

Abwarten, Tee trinken und auf den Quartalsabschluss warten, der am 30. Juli bekanntgegeben wird?

Die Aktie ist attraktiv bewertet, mein Kursziel ist unverändert bei 31 Franken und die Einstufung lautet weiterhin «Buy». Investiert bleiben ist die richtige Strategie trotz des Risikos eines vorerst stagnierenden Aktienkurses - bis die Unsicherheiten allmählich aus dem Weg geschaffen werden.

Andreas Venditti ist Senior Analyst im Bereich Schweizer Aktienanalyse, Banken & Vermögensverwalter bei Vontobel. Bevor er 2014 zur Bank Vontobel stiess, war Venditti Aktienanalyst bei der Zürcher Kantonalbank (ZKB) und vorher Portfoliomanager bei der Credit Suisse. Venditti verfügt über einen Master-Abschluss in Banking and Finance der Universität Zürich.

Thomas Daniel Marti
Thomas MartiMehr erfahren