WAS SAGT DER BUNDESRAT?
In den Worten von Aussenminister Ignazio Cassis stellt das Vertragswerk den bilateralen Weg mit einer stabilen Rechtsbasis sicher. Das Vertragspaket basiert auf den Zielen Sicherheit, Wohlstand und Unabhängigkeit. Das Stabilitätspaket stärke die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der Schweiz. Und mit den Verträgen sei der Zugang zum EU-Binnenmarkt gesichert; die EU sei wichtigste Handelspartnerin der Schweiz. Bei der Wahrung der Unabhängigkeit habe die Schweiz ihren Handlungsspielraum erweitern können.
WAS SAGT DIE EU DAZU?
Die Schweiz und die EU seien mehr als Nachbarn, sagte EU-Kommissar Maros Sefcovic am Freitag in Brüssel. Sie seien wirtschaftliche Partner und geopolitisch gesehen Verbündete. In dieser Beziehung sei am Freitag ein neues Kapitel aufgeschlagen worden. Beide Seiten könnten ihren Nutzen daraus ziehen und zu einem stärkeren und resilienteren Europa beitragen.
WIE WERDEN DIE INSTITUTIONELLEN ELEMENTE GEREGELT?
Die institutionellen Elemente werden laut der Landesregierung neu in jedem Binnenmarktabkommen einzeln geregelt. Die institutionellen Elemente umfassen einerseits die dynamische Rechtsübernahme. Andererseits beinhalten sie einen Streitbeilegungsmechanismus.
WAS IST DIE DYNAMISCHE RECHTSÜBERNAHME?
Die dynamische Rechtsübernahme dient dazu, dass sich das Schweizer Recht im Gleichschritt mit EU-Recht entwickelt. Dies aber nur in Abkommen, die den Schweizer Zugang zum europäischen Binnenmarkt betreffen. Gemäss dem Bundesrat heisst «dynamisch» nicht «automatisch». Die Schweiz würde bei jeder Übernahme von EU-Recht eigenständig und gemäss innerstaatlichen Verfahren entscheiden.
WIE FUNKTIONIERT DER STREITBEILEGUNGSMECHANISMUS?
Bei einem Streit zwischen der EU und der Schweiz würde im gemischten Ausschuss des betroffenen Abkommens nach einer Lösung gesucht. Erst wenn man sich dort nicht einig wird, würde der Fall einem paritätisch zusammengesetzten Schiedsgericht vorgelegt. Wenn die Streitfrage EU-Recht betrifft, muss der Europäische Gerichtshof (EuGH) zur Auslegung des Rechts angerufen werden. Der Streit selbst wird jedoch immer vom Schiedsgericht beurteilt, nicht vom EuGH.
WIE WERDEN SCHWEIZER BEITRÄGE GEREGELT?
Mit dem Beitragsabkommen. Dieses setzt den rechtsverbindlichen Mechanismus für regelmässige Schweizer Beiträge und soll für Planbarkeit sorgen. Bisher sprach die Schweiz zwei finanzielle Beiträge in Höhe von je je 1,3 Milliarden Franken. Das Geld geht nicht ans EU-Budget, sondern direkt an die Partnerstaaten. In den Jahren 2030 bis 2036 hat die Schweiz jährlich 350 Millionen Franken einzusetzen. Insgesamt kostet der Zugang zum EU-Binnenmarkt aber rund eine Milliarde Franken im Jahr, denn auch die Beteiligung an den EU-Bildungs- und Forschungsprogrammen kostet.
WAS BEDEUTEN DIE REGELUNGEN BEI STAATLICHEN BEIHILFEN?
Staatliche Beihilfen sind etwa Subventionen, vergünstigte Darlehen oder Steuervergünstigungen an Unternehmen. Wenn ein öffentliches Interesse zugrunde liegt, kann eine solche Unterstützung erwünscht sein, wie der Bundesrat schreibt. Sie stellen aber auch einen Eingriff in den Markt dar. Das EU-Recht sieht vor, dass unerwünschte Wettbewerbsverfälschungen verhindert werden sollen. Mit den verhandelten Verträgen verpflichtet sich die Schweiz die EU-Beihilferegelungen in den Bereichen des Landverkehrs-, Strom- sowie Luftverkehrsabkommen einzuhalten. Die Überwachung soll aber eine Schweizer Instanz wahrnehmen.
WIE FUNKTIONIERT DIE SCHUTZKLAUSEL BEI DER ZUWANDERUNG?
Um die Zuwanderung aus der EU einzuschränken, soll die Schweiz neu eigenständig Massnahmen ergreifen können, wenn sie auf ihrem Gebiet schwerwiegende wirtschaftliche oder soziale Probleme feststellt. Der Bundesrat muss die Aktivierung der Schutzklausel prüfen, wenn einer von vier Schwellenwerten überschritten wird. Es sind die Nettozuwanderung aus der EU, die Zahl der neuen Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die Zunahme der Arbeitslosigkeit oder die Sozialhilfequote. Wird einer dieser Werte landesweit überschritten, muss der Bundesrat handeln.
WAS GESCHIEHT IM BEREICH LOHNSCHUTZ?
Die Schweiz plant flankierende Massnahmen wie das Anmeldeverfahren, Lohn- und Arbeitskontrollen sowie Sanktionen bei Verstössen einzuführen, um den Lohnschutz bei Entsendungen zu gewährleisten. Ergänzend kommen nationale Begleitmassnahmen hinzu, etwa die Digitalisierung des Meldeverfahrens, zusätzliche Kontrollen im Bausektor und die Sicherung der sozialpartnerschaftlichen Strukturen. Auch die Spesenregelung wurde angepasst, um Lohndumping durch ungenügende Spesenentschädigung zu verhindern. Eine Kautionspflicht kann bei wiederholten Verstössen ausländischer Betriebe zum Schutz des Lohnniveaus angeordnet werden.
WAS BRINGT DAS STROMABKOMMEN?
Die Schweiz wird in den europäischen Strombinnenmarkt eingebunden. Einerseits bringt das Stromabkommen eine Öffnung des hiesigen Strommarkts. Die Schweiz muss die freie Lieferantenwahl gewährleisten, kann aber weiterhin eine regulierte Grundversorgung anbieten. Andererseits trägt das Abkommen zur sicheren Stromversorgung bei: Nachbarstaaten dürfen Stromlieferungen in die Schweiz nicht einschränken, auch während einer Energiekrise nicht. Vorgaben zum Wasserzins oder zur Vergabe von Konzessionen für Wasserkraftwerke enthält das Abkommen nicht. Auch darf sich die Schweizer Wasserkraft in öffentlicher Hand befinden.
WAS REGELT DAS LANDVERKEHRSABKOMMEN?
Das Landverkehrsabkommen regelt den grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr zwischen der Schweiz und der EU auf Strasse und Schiene. Es soll unter anderem Schweizer Besonderheiten wie das Nacht- und Sonntagsfahrverbot sowie die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) absichern und die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene fördern. Im nationalen Bahnverkehr kann die Schweiz weiterhin eigenständig Trassen für den nationalen Verkehr sichern und grenzüberschreitende Bahnangebote direkt vergeben. Im internationalen Schienenpersonenverkehr dürfen EU-Unternehmen Verbindungen anbieten, müssen jedoch Schweizer Sozialstandards einhalten. Das Kabotageverbot bleibt bestehen, sodass ausländische Anbieter keine rein inländischen Transporte durchführen dürfen.
WOFÜR BRAUCHT ES DAS LUFTVERKEHRSABKOMMEN?
Das Luftverkehrsabkommen sichert den gegenseitigen Zugang von Schweizer und EU-Fluggesellschaften zu ihren jeweiligen Luftverkehrsmärkten. Zudem ermögliche es der Schweiz die Teilnahme an der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (Easa). Neu sollen Schweizer Fluggesellschaften Flüge innerhalb eines EU-Mitgliedstaates anbieten dürfen und EU-Fluggesellschaften Inlandflüge in der Schweiz.
WAS IST DAS MRA-ABKOMMEN?
Das MRA-Abkommen (Mutual Recognition Agreement) oder Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen regelt den Vertrieb von Schweizer Produkten auf dem Markt der EU. Mit dem Abkommen sollen Industrieprodukte, die in der Schweiz zertifiziert wurden, auch im gesamten EU-Raum verkauft werden können und umgekehrt. Das Abkommen umfasst 20 Produktesektoren und damit laut Bundesrat 73 Prozent aller in die EU ausgeführten Schweizer Industrieprodukte.
WAS KOMMT AUF DIE LANDWIRTSCHAFT ZU?
Das bestehende Landwirtschaftsabkommen wird aufgeteilt in einen Agrarteil, der nicht der dynamischen Rechtsübernahme untersteht, und einen Teil zur Lebensmittelsicherheit - hier gilt die dynamische Rechtsübernahme. Vorgesehen ist ein gemeinsamer Lebensmittelsicherheitsraum. Neu wird die Schweiz in das Zulassungssystem für Pflanzenschutzmittel der EU eingebunden. Beim Tierschutz und bei gentechnisch veränderten Organismen konnten Ausnahmen ausgehandelt werden. Zum Beispiel sind in der EU zugelassene gentechnisch veränderte Organismen nicht automatisch auch in der Schweiz zugelassen.
WAS BIETET DAS GESUNDHEITSABKOMMEN?
Die Schweiz kann sich mit dem Abkommen an den Mechanismen zur Gesundheitssicherheit und am Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten beteiligen. Das ist wichtig bei grenzüberschreitenden Gesundheitskrisen wie der Covid-19-Pandemie oder bei der Vorbeugung. Zum Beispiel erhält die Schweiz rasch Informationen über die Ausbreitung neuer Virus-Varianten. Die Schweiz kann aber weiterhin eigenständig entscheiden, wie sie in einer Gesundheitskrise vorgehen will.
WAS IST DAS EU-PROGRAMMABKOMMEN?
Das EU-Programmabkommen (EUPA) setzt den rechtlichen Rahmen für die Schweizer Teilnahme an EU-Programmen, wie zum Beispiel Horizon Europe. Das Abkommen legt ausserdem den Grundstein für eine allfällige künftige Teilnahmen an anderen EU-Programmen. Das EUPA enthält Bestimmungen für alle Schweizer Programmbeteiligungen und zudem Bestimmungen zu jedem einzelnen Programm. Weil es vorläufig angewendet wird, kann sich die Schweiz am Horizon-Paket 2021 - 2027 assoziieren.
WAS IST DAS EUSPA-ABKOMMEN?
Die Euspa (European Union Agency for the Space Programme) in Prag ist die operative Agentur der Komponenten des EU-Weltraumprogramms. Der Schweiz erlaubt das Euspa-Abkommen eine Teilnahme an den Aktivitäten des Programms. Die EU betreibt im Rahmen ihres Weltraumprogramms das Satellitennavigationssystem Galileo und das europäische geostationäre Navigationssystem Egnos.
WIE GEHT ES WEITER?
Das Vertragspaket mit insgesamt 1889 Textseiten ist bis 31. Oktober 2025 in der Vernehmlassung. Parteien, Verbände und Kantone können sich dazu äussern. Der Bundesrat wird die Resultate analysieren und im ersten Quartal 2026 dem Parlament die Botschaft zustellen. Danach können der National- und der Ständerat über die Vorlage entscheiden.
KANN DIE STIMMBEVÖLKERUNG MITREDEN?
Der Bundesrat will den Räten vier Bundesbeschlüsse vorlagen: einen für die Stabilisierung der bilateralen Beziehungen und drei für die Weiterentwicklung. Er will das Vertragspaket dem fakultativen Referendum unterstellen - damit wäre an der Urne ein Volksmehr, aber kein Ständemehr nötig. Dies ist umstritten. Die Kantone wollen die Frage des Referendums während der Vernehmlassung prüfen, wie die Konferenz der Kantonsregierungen schrieb.
(AWP)