Jahrelang hatten es Vermögensverwalter leicht: Man kaufte die grössten amerikanischen Tech-Unternehmen und profitierte anschliessend von Kursrenditen. Diese Zeiten sind aufgrund der grossen Menge an Zinserhöhungen der Zentralbanken vorbei. Die Spielregeln für Wall Street-Investmentmanager haben sich dadurch verändert. TINA - das Mantra, welches besagt, dass Investoren keine Alternativen zu Aktien haben - ist einer Vielzahl tatsächlicher Wahlmöglichkeiten gewichen. Mit Geldmarktfonds bis hin zu kurzfristigen Anleihen und variabel verzinslichen Schuldverschreibungen sichern sich Anleger jetzt risikoarme Renditen, die in einigen Fällen über 4 Prozent liegen.
Dieser Wandel ist seit dem Sommer im Gange, hat aber im September an Fahrt gewonnen, als sich die Anleger mit den immer noch heissen Inflationsdaten und einem angespannten Arbeitsmarkt befassen mussten. Letzterer wird die Us-Notenbank Fed zwingen, die Zinssätze auf das höchste Niveau seit der Immobilienkrise zu setzen. Nach den Äusserungen des Fed-Chefs Jerome Powell vom Mittwoch gibt es kaum Zweifel daran, dass die Notenbank zumindest eine leichte Rezession in Kauf nimmt, um die Inflation einzudämmen.
Festverzinsliche Anlagen als grosse Gewinner
"Wir haben den Wendepunkt überschritten, an dem Anleihen mehr Wert bieten als Aktien", sagt Peter Chatwell, Leiter für den Handel mit globalen Makrostrategien bei Mizuho. "Wir erwarten, dass die Risikoprämien für Aktien in den kommenden Monaten noch weniger grosszügig ausfallen werden."
Anleger sind nicht bereit, Bargeld auf einem Aktienmarkt zu riskieren, der so stark schwankt wie seit mindestens 1997 nicht mehr. Stattdessen entscheiden sich Investoren für zweijährige US-Staatsanleihen, die die höchste Rendite seit 2007 bieten. Einjährige Anleihen zahlen fast genauso viel aus, und obwohl beide hinter den jüngsten Inflationswerten zurückbleiben, ist das besser als die 20-prozentige Talfahrt des S&P 500 in diesem Jahr. Alles in allem bringen festverzinsliche Anlagen im Vergleich zu Aktien die bessere Rendite.
Genau zum richtigen Zeitpunkt haben die Anleger Rekordsummen in börsengehandelte Fonds mit kurzer Laufzeit investiert, während 62 Prozent der globalen Fondsmanager eine Übergewichtung von Barmitteln vornehmen. Dies zeigt eine Umfrage der Bank of America. Investorinnen und Investoren haben auch ihr Engagement in Aktien auf ein Allzeittief reduziert.
Kumulative Cross-Asset-Ströme (Grafik: Bloomberg).
"Bargeld und kurzfristige festverzinsliche Wertpapiere bieten zunehmend geringere Volatilität und hohe Renditen innerhalb eines Portfolios, das verschiedene Anlageklassen umfasst", erklärt Andrew Sheets, Stratege bei Morgan Stanley. Die neue Attraktivität dieser Alternativen ist ein Grund dafür, warum er verzinste Anlagen Aktien bevorzugt. Die Verschiebung zeigt sich zunehmend in den Geldströmen, welche in Fonds hinein, aber auch aus diesen hinaus fliessen.
Erhöhte Gefahr einer Rezession
Staatsanleihen-ETF (Exchange Traded Funds) verzeichneten im September mehr Zuflüsse als ihre Pendants aus dem Aktienbereich. Diese Anleiheform macht jetzt nämlich 22 Prozent aller Käufe von ETF und Investmentfonds im letzten Jahr aus, während netto in diesem Zeitraum nur noch 2 Prozent in Aktien flossen.
Das Fundament der Rallye nach der Pandemie - extrem niedrige Zinssätze und geldpolitische Anreize - ist zerbröckelt. An ihrer Stelle stehen nun erhöhte Kreditkosten und verschärfte Finanzbedingungen, die die Anleger dazu gezwungen haben, ihre Barmittel aufzusparen. Das zeigt sich auch bei denjenigen, die bereit sind, sich an den Aktienmarkt zu wagen.
Cash-reiche Unternehmen verzeichnen weiterhin starke Zuflüsse. Der "Pacer US Cash Cows 100 ETF" beispielsweise verzeichnete im Jahr 2022 positive monatliche Zuflüsse mit einer Höhe von insgesamt 6,7 Milliarden Dollar. Unternehmen mit stetigen Einkommensströmen scheinen auch weiterhin attraktiv für Anleger zu sein, da der 36 Milliarden Dollar schwere "Schwab US Dividend Equity ETF" bisher in diesem Jahr eine Finanzspritze von 10,6 Milliarden erhalten hat.
Staatsanleihenrenditen übertreffen Aktiendividenden (Grafik: Bloomberg).
Die aggressive Haltung der Fed hat die Gefahr einer Rezession erhöht und die Wahrscheinlichkeit einer sanften Landung verringert. Das eröffnet die Möglichkeit, dass Anleihen mit längeren Laufzeiten bald wieder attraktiver werden, insbesondere wenn die Fed Anzeichen für eine Verlangsamung der Straffung macht. "Wenn die Zinsen ihren Höchststand erreicht haben, wäre es sinnvoll, sich in Erwartung sinkender Anleiherenditen entlang der Laufzeitenstruktur zu bewegen", sagt Chris Iggo, CIO der Kernanlagen bei AXA Investment Managers.
TINA-Welt zum Stillstand gebracht
Für Max Kettner, den Chef-Multi-Asset-Strategen der HSBC, sind Anleihen mit kurzer Laufzeit eine bessere Option als Aktien, aber eine Verlagerung von Inflationssorgen zu Wachstumssorgen könnte der Auslöser für eine noch umfassendere Umschichtung in festverzinsliche Anlagen sein.
Vorläufig hat das HSBC-Strategieteam unter Leitung von Kettner eine übergewichtete Position in Bargeld und eine maximale Untergewichtung im Aktienengagement eingenommen. Selbst die Day-Trading-Bewegung, die der Devise folgt, dass man nur einmal lebt - auch unter YOLO bekannt -, war nicht in der Lage, von einer Aktienbaisse zu profitieren. "Wir erleben definitiv einen Regimewechsel", sagte Kettner. "Die TINA- und YOLO-Welt von 2020/21 wurde im Grunde durch die Kombination aus langsamerem Wachstum und höherer Inflation abrupt zum Stillstand gebracht."
(Bloomberg/cash)