cash.ch: Die Goldankäufe der Zentralbanken sind nach wie vor auf Rekordniveau. Wird das so weitergehen? 

Kerisch Gopaul: Seit 2010 haben wir beständige Käufe von Zentralbanken gesehen, und zwar hauptsächlich von Zentralbanken aus Schwellenländern. Aber wie wir insbesondere in diesem Quartal festgestellt haben, gibt es auch eine gewisse Nachfrage seitens der Zentralbanken der Industrieländer. Singapur ist das herausragende Beispiel dafür. Sie waren der grösste Käufer im ersten Quartal. 

Wissen Sie, warum die Zentralbanken immer mehr Gold kaufen?

Wir befragen regelmässig Zentralbanken, und deren primäres Argument ist, dass sich Gold in Krisenzeiten als resistent erweist. Ebenso werden die Eigenschaften wie Inflationsschutz und das fehlende Gegenparteirisiko als Gründe für die hohen Goldbestände angeführt. Mit dem Ukraine-Krieg, der im letzten Jahr begann, kam noch die geopolitische Unsicherheit neben den anderen makroökonomischen Herausforderungen hinzu. 

Werden die Zentralbanken auch in Zukunft Rekordmengen des gelben Edelmetalls erwerben? 

Sollte sich die Situation an den Kapitalmärkten in den nächsten 6 bis 12 Monaten nicht wesentlich verändern, dann gehe ich davon aus, dass die Gründe für Goldkäufe genauso relevant bleiben werden wie im ersten Quartal 2023 und davor. Wir erwarten, dass die Zentralbanken ihre Nettokäufe bis 2023 beibehalten und den Trend fortsetzen werden, den wir seit 2010 beobachten. Die Einstellung der Zentralbanken dürfte sich gegenüber Gold nicht radikal ändern. 

Während die Zentralbanken seit Jahresbeginn weiter ihre Goldpositionen aufgestockt haben, kam es bei den Gold-ETF im ersten Quartal zu Abflüssen. Werden diese anhalten?

Im ersten Quartal verzeichneten ETFs Abflüsse von 29 Tonnen. Aber wenn wir uns ansehen, wie sich diese Abflüsse im Laufe des Quartals entwickelt haben, dann waren sie hauptsächlich im Januar und Februar zu beobachten. Im März gab es dann tatsächlich Zuflüsse während der Bankenkrise. Wir hatten die Silicon Valley Bank (SVB), dann hatten wir die Credit Suisse. Diese Ereignisse haben das Interesse an Gold verstärkt, was sich auch in den Zahlen der börsengehandelten Fonds widerspiegelt. Die Zuflüsse im März reichten zwar nicht aus, um die Abflüsse im Januar oder Februar auszugleichen, aber wir haben in letzter Zeit mehr Zuflüsse gesehen. Die bisherigen Zahlen für April lassen zudem den Schluss zu, dass die Zuflüsse weitergehen. 

Wo haben diese Zu- und Abflüsse stattgefunden?

Wenn wir das nach Regionen aufschlüsseln, sehen wir auch hier Unterschiede. In Nordamerika, vor allem in den USA, gab es über weite Strecken des ersten Quartals Zuflüsse, während sich die Abflüsse vor allem auf Europa konzentrierten. Es zeigt sich, dass eine bestimmte Anlegergruppe des Goldmarktes immer noch stark kauft.

Was waren die Gründe für die Abflüsse?

Ich möchte hier auch erwähnen, dass es bei der Zentralbank neben Käufen auch einige Verkäufe gegeben hat. Diese Verkäufe wurden aber durch die Käufe deutlich ausgeglichen. Bei den börsenkotierten Fonds war umgekehrt: Die Verkäufe überwogen die Käufe. Wir haben festgestellt, dass institutionelle Käufer auf andere Faktoren reagieren als Zentralbanken oder Kleinanleger. Sie scheinen sensibler und empfindlicher auf die Entwicklung der Zinssätze zu reagieren. Offensichtlich steigen die Zinssätze weiter an, zuletzt in dieser Woche nach der Leitzinserhöhung der Fed. Es gibt also immer noch Fragezeichen bezüglich der Aussichten für die Wirtschaft in den USA und der Eurozone. Es könnte also sein, dass die institutionellen Investoren immer noch auf diese Warteschleifen setzen, während die Zentralbanken und vielleicht auch die Kleinanleger auf andere Anhaltspunkte wie die Höhe der Inflation reagieren.

Wir beobachten in Marktkommentaren, dass das Inflationsargument für Gold an Gewicht zu verlieren scheint und vielmehr die realen Renditen über den Kauf entscheiden. 

Auf den ersten Blick würde man erwarten, dass das Interesse an Gold angesichts des Zinsniveaus viel höher sein könnte. Das ist es, was die Investoren im Allgemeinen glauben. Aber wir hatten vergangenes Jahr die gleichen Fragen. Die Inflation stieg 2022 rapide an, aber der Goldpreis entwickelte sich 'nur' stabil. Das warf verständlicherweise die Frage auf, ob der Goldpreis nicht deutlich hätte steigen müssen, weil die Inflation hoch ist. Es gibt jedoch eine Reihe von Faktoren, die darauf einwirken. Die Höhe der Zinssätze ist sicherlich einer davon. In der Vergangenheit hatte Gold eine negative Korrelation zu den Zinssätzen. Wenn also die Zinssätze steigen, entwickelt sich Gold tendenziell schlechter, weil es ein nicht renditeträchtiger Vermögenswert ist. 

Welche Rolle spielt der US-Dollar?

Man muss die Entwicklung des US-Dollars unbedingt berücksichtigen. Der US-Dollar ist ein wichtiger Faktor für die Wertentwicklung von Gold. Betrachtet man also nur die Inflation, so ist sie natürlich auch ein Faktor, aber nicht der einzige. Ausserdem ist zu bedenken, dass es zu Gewinnmitnahmen gekommen ist. Gold hat sich gut entwickelt, und entsprechend wurde Gold mit Gewinn verkauft, weil es ein hoch liquider Vermögenswert ist. Das hat privaten und institutionellen Anlegerinnen und Anlegern geholfen, Verluste zum Beispiel bei den Aktienmärkten im letzten Jahr auszugleichen.

Hält die Bankenkrise an, so könnte auch Gold im Preis sinken, weil anderweitige Verluste erneut ausgeglichen werden?

Dies wäre typischerweise zu beobachten - allerdings glaube ich nicht, dass wir uns schon in einer Krise befinden. In Zeiten wie der Finanzkrise 2008 und 2009 haben wir gesehen, dass Gold zunächst im Preis sinkt, weil die Anleger es aus Liquiditätsüberlegungen verkaufen, da andere Elemente der Portfolios schlechter abschneiden. Auf der anderen Seite sehen wir seit einigen Jahren, dass Gold als sogenannt alternative Anlage immer wichtiger wird.

Was heisst das?

Wegen des immer höheren Anteils von Vermögenswerten im Bereich Immobilien und Private Equity besteht das Risiko, dass diese Portfolios illiquider werden und vor allem in Krisenzeiten nicht liquidiert werden können. Ein grösserer Anteil an alternativen Vermögenswerten bedeutet, dass Gold in den Depots eine noch wichtigere Rolle spielt, da es in Krisenzeiten sofort verkauft werden kann. 

Welche Faktoren können bis Jahresende für einen Rücksetzer beim Goldpreis sorgen? 

Wir erwarten, dass das Angebot auf dem aktuellen Niveau bleibt und die Nachfrage der Zentralbanken gut bis sehr gut sein wird. Wir haben ein etwas gemischtes Bild im ETF-Sektor, aber insgesamt sieht es gut aus. Was die Auslöser für einen Kursrückgang betrifft, so wäre ein Punkt ein globales Kreditproblem, welches eine riesige Nachfrage nach Liquidität auslösen würde. Dies ist ein potenzieller Grund für einen Abwärtstrend. 

Und was würde Goldrally weiter antreiben?

Wir denken, dass die Investitionen in Gold das grösste Wachstumspotenzial sein könnten. Wir haben die Investitionen der Zentralbanken, aber wir haben auch die Endkunden. Im ersten Quartal hat sich gezeigt, wie preisempflindlich die Schmuck- und Technologie-Branche ist. Ein Preisanstieg könnte die Nachfrage in diesen Sektoren beeinträchtigen. Aber vom Investitionsstandpunkt aus gesehen glauben wir, dass diese Sektoren für den Rest des Jahres Wachstumspotenzial haben und damit den Goldpreis stützen werden. 

Krishan Gopaul trat Anfang 2011 dem World Gold Council bei und arbeitet seitdem im Research Team als Senior Analyst. Zuvor hatte er Positionen bei Barclays Global Investors, Royal Bank of Canada und Bank of New York Mellon inne, wo er sich auf Investment- und Marktdatenanalysen für die Vermögensverwaltung konzentrierte. Krishan hat einen Bachelor-Abschluss in Wirtschaftswissenschaften von der University of Essex und einen Master in Finance von der London School of Economics. Der World Gold Council ist eine Organisation, welche die globale Goldbergbauindustrie vertritt. Die Organisation hat ihren Sitz in London und verfügt über Büros an weltweit sechs verschiedenen Standorten. Insgesamt werden 100 Mitarbeiter beschäftigt.

Thomas Daniel Marti
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