cash.ch: Das Jahr der zwei Schweizer Chemiefirmen Clariant und Ems-Chemie kann man als schwierig bezeichnen. Warum?

Sibylle Bischofberger: Die Schweizer Chemieunternehmen stehen vor herausfordernden Marktbedingungen. Clariant, als klassische Chemiegesellschaft, müsste ihre Absatzmengen steigern, um nach den verschiedenen Restrukturierungen die Margen deutlich zu verbessern. Allerdings blieb die erwartete Mengenausweitung bisher aus. Mit der Veröffentlichung der Jahresergebnisse im Februar 2026 wird sich zeigen, ob sich das Marktumfeld zu erholen beginnt.

Deshalb jagt ein Kostensparprogramm das nächste...

In dieser herausfordernden Situation muss Clariant die Kosten weiter senken. Das jüngste Einsparprogramm in der Höhe von 80 Millionen Franken ist lanciert, jedoch noch nicht vollständig umgesetzt. Das Management hat zwar vielversprechende Massnahmen ergriffen, kann sich jedoch den schwierigen Marktbedingungen weiterhin nicht entziehen.  

Wie stark lasten die Ethylen-Gerichtsfälle auf dem Aktienkurs?

Die Gesamtsumme der Schadenersatzforderungen gegen vier Unternehmen, darunter Clariant, beläuft sich auf über acht Milliarden Franken, und weitere Klagen sind nicht auszuschliessen. Angesichts der langwierigen Rechtsstreitigkeiten mit ungewissem Ausgang erscheint Clariant derzeit als wenig attraktives Investment. Solange keine Beurteilung möglich ist, bieten sich schlichtweg attraktivere Investments an.

Ems-Chemie als Nischenanbieter steht besser da. Trotzdem verlor die Aktie im laufenden Jahr 12 Prozent an Wert. 

Das Unternehmen ist kein klassisches Chemieunternehmen, sondern bietet spezialisierte Polymerlösungen an. Rund 60 Prozent der Produkte werden in der Automobilindustrie eingesetzt, während die restlichen 40 Prozent in Branchen wie Elektronik, Optik und anderen industriellen Anwendungen Verwendung finden. Eine Schwächephase in der Automobilindustrie hat daher direkte Auswirkungen auf Ems, auch wenn das Unternehmen kontinuierlich an neuen Anwendungsmöglichkeiten arbeitet. Ein Beispiel dafür ist eine innovative Autolackierung, die bei deutlich niedrigeren Temperaturen gehärtet werden kann. Aufgrund ihrer Energieeffizienz hat diese Technologie das Potenzial, sich am Markt durchzusetzen – allerdings wird dies nicht von heute auf morgen geschehen. 

Also auch da abwarten?

Ein Engagement jetzt ist verfrüht, auch wenn Ems auch künftig mit innovativen, kreativen Ideen aufwarten wird und eine hohe Preissetzungsmacht am Markt hat. 

Sie decken auch drei Auftragsfertiger für die Pharmaindustrie ab. Diese Titel hinkten dem Markt auch hinterher.

Die drei Pharmazulieferer Bachem, Lonza und Siegfried haben im Vergleich zu Clariant oder Ems ganz andere Wachstumstreiber. Diese sind die alternde Bevölkerung, die Auslagerungsbestrebungen bei der Produktion von Medikamenten durch die Pharmafirmen sowie Generika-Hersteller, die zum Teil nicht über genügend Produktionskapazitäten verfügen. Hinzu gesellen sich auch Biotechnologiefirmen, die gar keine eigene Fertigung haben. Insofern stimmt das fundamentale Framework, aber dies sind langfristige Zyklen. Neue Produktionsanlagen werden nicht wie von der US-Regierung gewünscht in einem Jahr gebaut, sondern in drei bis acht Jahren.

Siegfried gehört schon länger zu Ihren Favoriten. Ein Fehlgriff?

Eigentlich hat bei Siegfried alles gestimmt: die Basis, ein gutes Businessmodell und ein fähiges Management. Das Geschäft läuft gut, die Firma ist nicht zyklisch, ist defensiv und hat auch genügend liquide Mittel, um weitere Akquisitionen zu tätigen. Ich kann nur im Nachhinein versuchen, den starken Aktienkursrückgang zu begründen und ich bin etwas ratlos, da das Unternehmen weder den US-Zöllen ausgesetzt noch von tieferen US-Medikamentenpreisen betroffen ist. Siegfried wurde hier in Sippenhaft genommen. Es gab keine Gewinnwarnung, einzig fiel der Ausblick Anfang Jahr nicht ganz so positiv wie erwartet aus.

Das Unternehmen zeigt sich generell konservativ beim Ausblick.

Das stimmt. Ein Grund für die Zurückhaltung der Anleger bei Siegfried könnte in den USA zu suchen sein. Wenn die Pharmabranche dort unter dem Druck der US-Regierung massiv viel Geld investiert, dann braucht es weniger externe Medikamentenhersteller als Outsourcing-Partner. Dennoch bin ich zuversichtlich, dass der Pharmazulieferer das Potenzial hat, sich mit seiner guten Reputation auch dank kleinerer Biopharmakunden gut zu entwickeln und so dürfte das Sentiment in die Titel wieder drehen. 

Sonova und Straumann sind ebenfalls zwei Sorgenkinder. Seit drei Jahren bewegen sich die Aktienkurse bestenfalls seitwärts. Sind das zwei Wachstumsfallen für Anlegerinnen und Anleger?

Die beiden Unternehmen sind immer noch wachstumsstark. Über die letzten Jahre gehörten beide Titel lange in jedes Depot - auch wenn die letzte Zeit durchzogen war. Straumann wurde jüngst auch etwas die zyklische Komponente zum Verhängnis, denn Zahnbehandlungen sind teilweise Schönheitseingriffe. Gestaltet sich die Wirtschaft schwierig, dann halten sich die Patienten mit solchen teuren Eingriffen zurück. Ein verlorener Zahn wird jedoch auch wegen medizinischen Gründern weiterhin ersetzt.  

Was kommt nach dem Durchhänger? Mehr Wettbewerb aus China, der auf die Margen schlägt?

Nein, das wird nicht passieren. Der Grund liegt darin, dass die Kosten für einen Zahnersatz rund 5000 Franken betragen können und das Straumann-Implantat nur etwa 10 Prozent der Kosten ausmacht. Da wählt der Zahnarzt das für ihn qualitativ beste Implantat, da ein etwas günstigeres kaum zu einer günstigeren Behandlung führt.

In den China und den USA laufen Dentalimplantate nicht wirklich gut im Moment.

In China hat die Regierung viele verschiedene Massnahmen ergriffen, um die Wirtschaft zum Laufen zu bringen. Diese 'Volume-Based-Procurements', mit denen der Staat unter anderem Preissenkungen durchsetzen will, spürt Straumann. Da das Unternehmen neu in China produziert, dürfte der Einfluss langfristig gering sein, auch wenn sich kurzfristig der eine oder andere Zahnarzt zurückhält und auf tiefere Preise hofft.

Wie sieht es in den USA aus?

In Übersee ist es anders. Grössere Zahnbehandlungen können schnell Kosten von bis zu 50'000 Dollar verursachen und müssen häufig aus eigener Tasche bezahlt werden. Viele Patienten finanzieren solche Eingriffe über Kredite. Solange die Zinsen auf hohem Niveau sind, zögern viele US-Patienten, solche Ausgaben zu tätigen. Mit sinkenden Zinsen dürfte die Nachfrage nach solchen Behandlungen jedoch wieder anziehen. 

Was bedeutet das für die Margen?

Neben China und den USA läuft es für Straumann gut in Europa und ausgezeichnet in Lateinamerika. In der Summe dürfte das Unternehmen auch in Zukunft dynamisch wachsen. Straumann dürfte jedoch mehr als früher in zukünftiges Wachstum investieren müssen, was die Marge vielleicht etwas langsamer steigen lassen dürfte. Insgesamt finde ich weder beim Produktportfolio, in der Bilanz noch beim Management ein Haar in der Suppe und die Bewertung ist zurückgekommen.

Sind Sie bei Sonova ähnlich optimistisch?

Sonova ist nach wie vor stark in der Entwicklung, der Produktion und dem Verkauf von Hörgeräten. Die Wholesale-Sparte ist im ersten Halbjahr mit 8 Prozent gewachsen, während der Gesamtmarkt nur um 1 bis 3 Prozent zugelegt hatte. Damit ist das Unternehmen mehr als doppelt so schnell wie der Markt unterwegs. Der Grund sind die im Oktober 2024 lancierten Hörgeräte. Mit dem Upgrade im September 2025 wurden auch Mängel wie die kurze Batterielaufzeit behoben.

Das Wachstum des gesamten Marktes scheint eher enttäuschend?

Sonova hat von den besten Hörgeräte weltweit und gewinnt deshalb Marktanteile. Die Firma leidet jedoch unter dem weniger starken Marktwachstum.  Dank der älter werdenden Bevölkerung dürfte Sonova langfristig aber auf jeden Fall profitieren.

Sibylle Bischofberger ist seit 2020 als Senior Equity Research Analystin bei Vontobel tätig, wo sie sich auf die Bereiche Medizintechniologie und Spezialchemie konzentriert. Zuvor arbeitete sie 14 Jahre lang bei der Zürcher Kantonalbank als Expertin in diesem Sektor. Akademisch verfügt Sibylle Bischofberger über einen doppelten Abschluss mit einem Master of Arts der Universität Zürich sowie einem Master of Science der ETH Zürich.

Thomas Daniel Marti
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