"Eine Reihe von Mitgliedern drückte eine erste Präferenz aus, die Tür für eine grössere Anhebung auf der Juli-Sitzung offen zu halten", hiess es im Protokoll des Zinstreffens vom 8. und 9. Juni, das die EZB am Donnerstag in Frankfurt veröffentlichte. Der EZB-Rat müsse sich das Ermessen bewahren, den Umfang des Zinsschrittes anzupassen, sollten für die Juli-Zinssitzung neue Informationen vorliegen, die den mittelfristigen Inflationsausblick wesentlich beeinflussen, hiess es im Protokoll.
Die Euro-Notenbank hatte auf ihrer Juni-Zinssitzung angekündigt, sich wegen des anhaltenden Inflationsschubs im Euro-Raum von der jahrelangen ultralockeren Geldpolitik zu verabschieden. Beschlossen wurde schliesslich, für Juli die erste Zinserhöhung seit 2011 in Aussicht zu stellen. Die wichtigsten Zinsen sollen dann um jeweils 0,25 Prozentpunkte angehoben werden. Für das Zinstreffen im September signalisierte sie zudem eine womöglich noch kräftigere Anhebung. Für die Zeit nach September peilt die EZB schrittweise aber nachhaltige Anhebungen der Leitzisen an. Nur sechs Tage nach der regulären Zinssitzung im Juni kamen die Währungshüter erneut zu einer Sondersitzung zusammen. Eine starke Ausweitung der Renditeabstände (Spreads) der Staatsanleihen der Euro-Länder hatte die EZB in Alarmstimmung versetzt.
Graduelle Vorgehensweise nicht die Pflicht
Währungshüter hätten darin übereingestimmt, dass eine graduelle Vorgehensweise nicht notwendigerweise interpretiert werden sollte als langsames Handeln in kleinen Schritten, hiess es im Protokoll weiter. Schrittweise bei den Zinsen vorzugehen schliesse über einen viertel Prozentpunkt hinausgehende Erhöhungen nicht aus. Auf jeden Fall sei unterstrichen worden, dass eine graduelle Vorgehensweise nicht die Pflicht des EZB-Rats beeinträchtigen sollte, jederzeit das Notwendige zu unternehmen, um mittelfristig Preisstabilität zu sichern. Die nächste Zinssitzung der EZB ist für den 21. Juli anberaumt.
"Angesichts der Argumentation der Ratsmitglieder auf der Juni-Sitzung kann eine Anhebung der Leitzinsen um 50 Basispunkte auf der kommenden Juli-Sitzung nicht ausgeschlossen werden", befand Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert. Die Commerzbank halte aber weiter an ihrer Prognose einer Zinsanhebung um 0,25 Prozentpunkte fest. Schubert verwies unter anderen darauf, dass das Risiko einer Rezession im Euro-Raum in letzter Zeit gestiegen sei. Bei einer kräftigen Zinserhöhung besteht aus Sicht von Ökonomen die Gefahr, dass die Wirtschaftsaktivitäten zu stark abgewürgt werden. "Ein Lager innerhalb der EZB schien eine grössere Zinserhöhung im Juli bevorzugt zu haben", schrieben auch die Volkswirte der US-Bank Morgan Stanley. Von daher könne die explizite Öffnung für eine kräftigere Zinserhöhung im September als Kompromiss gesehen werden.
(Reuters)