US-Präsident Donald Trump hat die jüngst gesunkene Inflationsrate zu neuen Attacken auf den Chef der Notenbank genutzt. «Die Fed muss den Leitzins senken, wie es Europa und China getan haben», forderte er auf seiner Online-Plattform Truth Social. Zugleich feuerte er erneut eine verbale Breitseite gegen Fed-Chef Jerome Powell ab, der zu spät agiere und damit einer florierenden Wirtschaft im Wege stehe.

Trump sagte zwar unlängst, er habe nicht die Absicht, Powell vor Ende von dessen Amtszeit im Mai 2026 abzulösen. Doch Zweifel bleiben, ob er sich daran hält. Mit Spannung blicken Investoren, die die unabhängige Fed als eine tragende Säule der Finanzstabilität schätzen, auf eine bald anstehende höchstrichterliche Entscheidung.

«Der Oberste Gerichtshof könnte wichtige rechtliche Schutzmechanismen beseitigen, die den Fed-Vorsitzenden vor politischer Einflussnahme schützen», warnt Steve Williams vom Vermögensverwalter Nikko Asset Management, der eine Entscheidung im Juni erwartet. Bei dem Gerichtsentscheid geht es nicht direkt um den Streit zwischen Trump und Powell. Doch könnte das Urteil dem US-Präsidenten Munition verschaffen, um die Bastion Fed als unabhängige und von politischem Einfluss freie geldpolitische Institution zu schleifen.

Im anstehenden Urteil des Supreme Courts geht es um Entlassungen, die Trump praktisch mit einem Federstrich vollzog, ohne triftige Gründe dafür anzuführen. Gefeuert wurden Cathy Harris aus dem Merit Systems Protection Board, eine Behörde zur Wahrung der Rechte von Bundesbediensteten, und Gwynne Wilcox aus dem National Labor Relations Board. Diese Behörde soll über die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten wachen.

Powell hat erklärt, er werde sich weigern, seinen Platz vorzeitig zu räumen, falls der Präsident versuchen sollte, auch ihn abzusetzen. Dies wäre aus seiner Sicht nicht rechtens. Experten verweisen allerdings darauf, dass der US-Präsident laut dem Notenbankgesetz ein Mitglied des Direktoriums entlassen kann, wenn es hierfür einen guten Grund gibt. «Dieser Begriff ist zwar nicht genau definiert, aber nach überwiegender Mehrheit der Fachleute wären Meinungsunterschiede hinsichtlich der Ausrichtung der Geldpolitik kein ausreichender Grund», erläutern die Commerzbank-Volkswirte Bernd Weidensteiner und Christoph Balz.

Präzedenzfall aus den 1930er-Jahren

Als Präzedenzfall gelte der Versuch des damaligen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, 1933 das Mitglied der Federal Trade Commission, William Humphrey, zu entlassen, weil dieser seine «New Deal»-Politik nicht ausreichend unterstütze. Der Oberste Gerichtshof entschied damals, eine Entlassung aus politischen Gründen sei nicht rechtens. Ob der Schutzstatus für Topbeamte wie Wilcox und Harris gewahrt bleibt, hängt wahrscheinlich davon ab, wie die Richter mit dem unter Juristen als «Humphrey's Executor» bekannten Präzedenzfall und verwandten Urteilen umgehen.

Viele Befürworter einer konservativen Rechtsdoktrin namens «Unitary Executive Theory» sprechen einem Präsidenten weitreichende Exekutivgewalt zu. Sie sehen das Humphrey-Urteil als Fehlentscheidung. Ihr Argument: Artikel II der Verfassung verleihe dem Präsidenten die alleinige Autorität über die Exekutive, einschliesslich der Befugnis, Leiter unabhängiger Behörden trotz des gesetzlichen Schutzes zu entlassen. Der Oberste Gerichtshof hat in den vergangenen Jahrzehnten die Reichweite von Humphrey eingeschränkt, ohne es jedoch aufzuheben.

«Selbst wenn das Gericht eine eingeschränktere Entscheidung fällt, könnte es den Weg für eine stärkere Kontrolle der Exekutive über unabhängige Behörden ebnen», lautet die Einschätzung des Nikko-Ökonomen Williams. Im Extremfall hätte Trump demnach die Befugnis, Powell oder jeden anderen Behördenleiter nach Belieben zu entlassen. Ein solcher Schritt würde die Integrität der Fed als Institution untergraben, warnt der Experte.

Das sehen die Commerzbank-Volkswirte ähnlich: «Die Fed hat ihre Unabhängigkeit über Jahrzehnte hart erkämpft und sieht sie auch als sachgerechte Antwort auf den Missbrauch der Fed für politische Zwecke durch die Administrationen von Lyndon B. Johnson und Richard Nixon, was die grosse Inflation der 1970er und frühen 1980er Jahre nach allgemeiner Ansicht massgeblich gefördert hat.»

Nixon hatte Tonbandaufzeichnungen zufolge den einstigen Fed-Präsidenten Arthur F. Burns förmlich zu einer lockeren Geldpolitik genötigt: «Burns hielt diesem Druck nicht stand und ermöglichte so die hohe US-Inflation der 70er Jahre. Dies war eine der prägenden Episoden der Fed-Geschichte und beeinflusst weiterhin das geldpolitische Denken», erklären die Commerzbank-Experten. Trump ficht dies nicht an: Mehrfach titulierte er Powell als Narren, Dummkopf und Verlierer, der keine Ahnung habe.

(Reuters)