cash.ch: Herr Schlaefli, für 2024 bietet Profond eine Verzinsung von 8 Prozent und einen Umwandlungssatz von 5,6 Prozent. Beide Werte sind vergleichsweise hoch. Wie kommen sie zustande?
Laurent Schlaefli: Die Werte erklären sich mit der Performance. Wir haben eine Milliarden Franken Rendite gemacht. Davon gingen 500 Millionen in die Wertschwankungsreserven. Die anderen 500 Millionen haben wir an die Versicherten verteilt. Denn wir wissen, dass viele von ihnen nach wenigen Jahren den Arbeitgeber und damit die Pensionskasse wechseln. Sie gingen leer aus, wenn wir bei guter Performance die Verzinsung tief halten und dafür die Reserven noch mehr aufbauen würden.
Inwieweit gehen die Verzinsung und der Umwandlungssatz auf Kosten eines höheren Deckungsgrades? Profond kommt auf 108 Prozent per Ende März respektive 110 Prozent per Ende Dezember. Andere Vorsorgeeinrichtungen liegen höher, teilweise über 120 Prozent.
Der Deckungsgrad ist nur ein Buchwert. Effektiv relevant ist das Geld, das durch Dividenden oder Immobilienrenditen in unsere Kassen fliesst - der Cash Flow also. Er wird in den nächsten zehn Jahren positiv sein. Das wissen wir aus Analysen. Oder anders gesagt: Wir können die Renten auch bei einer Unterdeckung bezahlen. Sie wäre kein Problem.
Sie scheinen ziemlich entspannt mit dem Thema Unterdeckung umzugehen.
Profond musste noch nie saniert werden und war selbst 2022, einem sehr düsteren Anlagejahr, nicht in Unterdeckung. Fast 3000 Firmen sind bei uns versichert, das sind IT-Unternehmen, Industriebetriebe, Spitäler, Gemeinden und weitere. Sie können nicht alle gleichzeitig Konkurs gehen. Das gibt Stabilität - ganz im Unterschied zu einer firmeneigenen Vorsorgeeinrichtung.
Im März war die Rendite negativ, im April vermutlich auch. Welche Anpassungen der Anlagestrategie planen Sie?
Die Anlagestrategie ist seit der Gründung von Profond praktisch unverändert. Daran halten wir fest.
Gilt das auch angesichts der weiteren Folgen des Zollstreits und der Aussicht, dass Donald Trump noch vier bis acht Jahre US-Präsident sein wird?
Ja, denn wir haben auch US-Aktien im Portfolio. Wir sind aber gut diversifiziert, halten Schweizer Aktien und ausländische Aktien, Immobilien, Fremdwährungsobligationen, Liquidität und so weiter. Vor allem aber haben wir einen Anlagehorizont von 60 Jahren. Deshalb können wir vier oder auch acht zähe Jahre verkraften. Beim Anlegen darf man nicht nervös sein. Wenn man es ist, zweifelt man an seiner Anlagestrategie. Doch von ihr sollte man 100-prozentig überzeugt sein.
Laut einer Studie liegen die durchschnittlichen Vermögensverwaltungskosten bei etwas über 0,4 Prozent. Sie wiesen 2023 Vermögensverwaltungskosten von 0,53 Prozent der Vermögensanlagen aus. Warum sind Sie höher als der Schnitt?
Wenn Profond nur Aktien und Obligationen halten würde, wären die Kosten unter 0,1 Prozent. Doch wir haben zum Beispiel auch Immobilien. Sie müssen bewirtschaftet und früher oder später renoviert werden. Das kostet. Aber auch so hätte ich kein Problem, wenn wir 2 Prozent für die Vermögensverwaltung bezahlen würden. Entscheidend ist letztlich ja, wie hoch die Netto-Rendite ist. Und da sind wir besser als dem Schnitt.
Zu den Vermögensverwaltungskosten gibt es eine Diskussion, die Sie kennen werden …
… die Kritik an den Pensionskassen ist mir bekannt. Aber was ist besser: Mit fünf Franken Aufwand zehn Franken Ertrag machen oder mit drei Franken Aufwand fünf Franken Ertrag erzielen? Wenn wir mit etwas höheren Kosten eine überproportional höhere Rendite erhalten, werden wir es so machen.
Wie gut gelingt es Profond, den Digitalisierungstrend zu nutzen?
Wir verschicken seit über fünf Jahren kein Papier mehr. Wenn jemand mit uns arbeiten will, muss er digital sein. Wenn jemand den Vorsorgeausweis auf Papier will, kann er ihn bei uns bestellen. Wir wollen alle Prozesse durchgängig digitalisieren. Routineaufgaben sollen Maschinen machen. Dann können sich die Mitarbeiter auf die wichtigen Sachen konzentrieren.
Haben Sie Beispiele, wie das konkret aussieht?
Nehmen Sie IV-Fälle. Da kommen Dossiers mit über 100 Seiten. Die muss jemand lesen. Es gibt Tools, die das können und deshalb machen sollen. Der Mitarbeiter erhält eine Zusammenfassung und kann den Fall dann beurteilen.
Gibt es bei der Umstellung von analog auf digital Widerstände?
Die grösste Herausforderung für uns war, die Mitarbeiter zu überzeugen, weil diese Angst um den Arbeitsplatz hatten. Wir haben ihnen erklärt, dass digitale Tools keine Konkurrenz, sondern Hilfsmittel für sie sind. Mittlerweile wächst die Einsicht. Jedenfalls können wir nicht unsere Digitalisierungsschritte nicht rückgängig machen. Wegen des Fachkräftemangels ist qualifiziertes Personal knapp.
Ein Zitat von Ihnen: Die grösste Herausforderung für die Pensionskassenbranche sei sicherlich «die Freiheit des Regulators, die Kompetenzen der Stiftungsräte um jeden Preis begrenzen zu wollen und sich selbst Kompetenzen zuzugestehen», sagten Sie im Herbst 2024. Erläutern Sie!
Wir haben immer mehr Regulation, und es ist immer schwieriger, sich zu bewegen. Grundsätzlich trägt der Stiftungsrat die Verantwortung, nicht der Regulator. Doch dazu muss er frei entscheiden können. Sonst entscheidet er nicht mehr aufgrund der Situation und einer sachgerechten Analyse, sondern weil eine Vorschrift ihn zwingt.
Wo ist diese Regulation besonders einschneidend?
Bei der Verzinsung der Altersguthaben zum Beispiel: Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen, also jene Pensionskassen, die vorwiegend KMUs versichern, dürfen bei der Festlegung des Zinssatzes einen bestimmten Grenzwert nur dann überschreiten, wenn sie ihren Deckungsgrad zuvor entsprechend erhöhen. Andere Vorsorgeeinrichtungen unterliegen dieser Regelung nicht. Diese Unterscheidung ist sachlich kaum nachvollziehbar. In sämtlichen Stiftungsräten – ob nun Sammeleinrichtung oder nicht - sind ausgewiesene Fachpersonen eingebunden. Sie verfügen über das notwendige Know-how, um eine angemessene und verantwortbare Verzinsung der Altersguthaben sicherzustellen. Der Nationalrat hat glücklicherweise entschieden, dass der Bundesrat diese Regelung abschaffen und die Gleichbehandlung für alle gewährleisten soll. Der Ständerat wird in Kürze ebenfalls über dieses Geschäft entscheiden.
Hat der Regulator keine legitimen Gründe für solche Vorschriften?
Schon. Er hat aber immer mehr die Tendenz über seine Kompetenzen zu gehen, weil er Angst hat, dass die Stiftungsräte von Pensionskassen unprofessionell agieren und diese in Unterdeckung bringen - dass wir plötzlich eine Milliarde Franken von unserer Performance ausschütten statt 500 Millionen.
Sie reden von Angst. Sprechen Sie dem Regulator eine gewisse Irrationalität zu?
Es gibt einen Aktivismus in Bundesbern. Darum sind in den letzten Jahren immer mehr Weisungen und Kommunikationen erstellt worden. Dabei geht es den Pensionskassen gut. Sie sind gesund und nicht in Not. Schwarze Schafe gibt es, aber es sind wenige.
Immer mehr Menschen arbeiten Teilzeit. Zudem ist das durchschnittliche Alter beim Verlassen des Arbeitsmarktes zwischen 2017 und 2024 von knapp 66 auf 65 Jahre gesunken. Was bedeuten diese Trends für die Pensionskassen?
Wir setzen um, was die Arbeitgeber und die Versicherten wollen. Wenn die Leute weniger arbeiten wollen, ist das ein Fakt. Wir passen uns diesem Trend an. Zum Beispiel können Arbeitnehmer schon mit 18 in die Pensionskasse einzahlen, nicht erst mit 25, wie es das Obligatorium vorsieht. Oder es gibt Wahlpläne, durch die man freiwillig höhere Beiträge leistet und so sein Vorsorgeguthaben vermehrt. Aber grundsätzlich: Wer 80 Prozent arbeitet, wird doch 100 Prozent pensioniert - und muss sich fragen, wie er seinen Lebensunterhalt im Alter finanziert, wenn er über Jahre weniger als möglich für seine Vorsorge getan hat.
Im Herbst 2024 scheiterte die BVG-Reform. Was sind Ihre Schlüsse daraus für die Zukunft?
Dass es in den nächsten zehn Jahren keine Reform geben wird, weil die Politik aktuell nicht zu Kompromissen bereit ist. Das grösste Thema, der Umwandlungssatz von 6,8 Prozent, bleibt offen. Profond hat es selbst gelöst, so wie viele andere Pensionskassen. Aber es gibt Branchen und Kassen, die den Umwandlungssatz nicht unter 6,8 Prozent senken können. Deshalb machen sie Verlust und die Aktiven müssen die Rentner finanzieren.
Im Parlament läuft ein Vorstoss, der Mehrfachbeschäftigte und Teilzeitarbeitende besserstellen will. Damit wird ein Teil der BVG-Reform wieder aufgegriffen. Wie beurteilen Sie dies?
Die Vorsorge von Mehrfachbeschäftigten ist ein grosses Thema. Das kann man in einer Pensionskasse nicht abdecken, weil die betreffende Person ja mehrere Arbeitgeber hat. Bei Teilzeitbeschäftigten gibt es Lösungen, ein tieferer Koordinationsabzug beispielsweise. Ein gesetzlich festgelegter, tieferer Koordinationsabzug bedeutet, dass der versicherte Lohn steigt. Man bezahlt mehr in die Vorsorge ein, hat am Monatsende aber weniger Geld zur Verfügung. Das ist ein Zielkonflikt, der besonders bei einem tiefen Einkommen nicht so einfach zu lösen ist. Die Politik muss entscheiden, was sie bevorzugt. Aber Arbeitgeber, die es für sinnvoll halten, können den Koordinationsabzug auch freiwillig senken.
Da wir über Reformen sprechen: Führt ein Weg an einem höheren Rentenalter vorbei?
Für die AHV ist das eine wichtige Frage. Wir können das Rentenalter bei 65 Jahren belassen, wenn wir die Produktivität durch technologischen Fortschritt steigern und Migration zulassen. Für die Pensionskassen ist die steigende Lebenserwartung eine grosse Herausforderung. Und es liegt auf der Hand: Ein längeres Leben kann bei gleichem Rentenalter nur über tiefere Umwandlungssätze finanziert werden. Offen ist, ob die Lebenserwartung tatsächlich immer weiter zunimmt.
Laurent Schlaefli ist Geschäftsführer der Profond Vorsorgeeinrichtung. Ihr sind rund 2800 Organisationen respektive 90'000 Versicherte angeschlossen, und sie verwaltet mehr als 15 Milliarden Franken Vermögen. Vor seinem Antritt als Profond-CEO durchlief Schlaefli mehrere Stationen in der Versicherungsbranche, unter anderem war er bei Generali und Swiss Life tätig. Er hält einen MBA der HEC Paris und hat sich an der Universität St. Gallen sowie am International Institute for Management Development (IMD) weitergebildet.