Dass die Reise eines Bundesaussenministers nach China zwei Tage vor dem geplanten Abflug verschoben wird, ist für die deutsche Diplomatie sehr ungewöhnlich. Prompt hat die Entscheidung von Johann Wadephul eine anhaltende Debatte über den richtigen Umgang mit der kommenden Supermacht ausgelöst. Der Fall zeigt, dass es derzeit bei deutsch-chinesischen Abstimmungen deutlich hakt - in einer Phase, in der die ohnehin angeschlagene deutsche Industrie um Lieferungen von Seltenen Erden und Chips bangt. «Wir erwarten keine Eiszeit», wiegelt ein Sprecher des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft (APA) gegenüber Reuters zwar ab. Jedoch fügt er hinzu: «Wir erwarten aber auch keine Rückkehr in einen Schmusekurs, wie er noch bis 2017/2018 gängig war bei vielen westlichen Regierungen.»

Auslöser der neuen Debatte über den richtigen Umgang mit China war, dass Aussenminister Wadephul am Sonntag nach Peking fliegen wollte - quasi als Speerspitze der schwarz-roten Bundesregierung, noch vor Kanzler Friedrich Merz und anderen Kabinettsmitgliedern. In einem am Donnerstag veröffentlichten Reuters-Interview hatte er dabei den ausdrücklichen Wunsch betont, mit China zusammenarbeiten zu wollen. Immerhin ist China wegen der umstrittenen US-Zollpolitik auch wieder grösster deutscher Handelspartner geworden. Zugleich hatte der CDU-Politiker aber die bekannten kritischen deutschen Positionen etwa zu Chinas Haltung zu Taiwan, Russland und im südchinesischen Meer sowie zur nötigen Diversifizierung der Wirtschaft wiederholt. Danach bekam Wadephul nur eine Bestätigung für ein Treffen mit Aussenminister Wang Yi - weshalb er den Besuch kurzentschlossen verschob.

Prinzipientreue oder Dialog?

Tatsächlich ist die Entscheidung nicht unumstritten: «Ich hätte es richtig gefunden, wenn Aussenminister Wadephul trotzdem gereist wäre», sagt etwa Marina Rudyak, China-Expertin der Universität Heidelberg. Wadephul hätte deutsche Positionen und Wünsche auch beim Treffen mit Wang Yi vorbringen können, betont sie gegenüber Reuters. Dieser nehme in der chinesischen Führung eine sehr wichtige Stellung ein, weil er gleichzeitig Direktor der Zentralen Kommission für auswärtige Angelegenheiten und als Vertrauter von Präsident Xi Jinping gilt.

Dies sieht Miko Huotari, Direktor des China-Instituts Merics in Berlin anders: «Ich finde die Verschiebung richtig. Wenn die Bedingungen von Peking so stark und robust gestellt werden, dass man sich klein machen müsste, um sie zu erfüllen, ist es besser, einen neuen Anlauf zu starten», sagt er Reuters.

Am Montag wirkte es, als ob Berlin und Peking selbst erschrocken waren über die Eskalation. Denn in beiden Hauptstädten wurde zunächst betont, wie gerne man doch zusammenarbeiten wolle. Doch so einfach sei dies nicht mehr, sagte Mercis-Chef Huotari: «Wir unterschätzen, wie sehr China mittlerweile Bedingungen für ein angepasstes Verhalten in der Taiwan-Frage stellt.» Dafür sei die Regierung in Peking auch bereit, diplomatische Kosten zu tragen. «Die härtere Haltung beim Thema Taiwan geht weit über Deutschland hinaus: China wird ganz grundsätzlich Beziehungen und einen guten Austausch daran knüpfen, dass sich Gesprächspartner nach chinesischen Positionen richten», warnt Huotari.

Ein Sprecher des chinesischen Aussenministeriums hatte schon am Freitag betont: «Wir hoffen, dass Deutschland sich strikt an das Ein-China-Prinzip hält und sich unmissverständlich gegen die separatistischen Aktivitäten der 'Unabhängigkeit Taiwans' ausspricht.» Wadephul hatte sich dagegen in dem Reuters-Interview zwar ausdrücklich zur Ein-China-Politik der Bundesregierung bekannt. Aber er ging nicht so weit, um die von China als abtrünnige Provinz angesehene, demokratisch regierte Republik Taiwan zu ermahnen.

Wie sehr sich die Position von Präsident Xi Jinping verhärtet hat, zeigt die Tatsache, dass in Peking am Wochenende eine hochrangige Konferenz die harte Haltung zu Taiwan bekräftigte - und die kommunistische Führung in Peking am Montag dann auch noch Militärübungen vor der Insel publik machte.

Braucht Deutschland eine neue China-Strategie?

Die Verschiebung der Reise hat nun auch in der schwarz-roten Koalition die Grundsatzfrage aufgeworfen, wie das Verhältnis zwischen Prinzipientreue und Dialog gegenüber Peking austariert werden sollte. Schon in der Ampel-Koalition führte dies zu Spannungen zwischen der SPD und den Grünen. Jetzt kündigt sich eine ähnliche Debatte zwischen Union und der SPD an - die übrigens auch einen Parteidialog mit der KP Chinas pflegt. «Gerade in einer Phase globaler Spannungen ist der direkte Dialog mit China von grosser Bedeutung», sagt der SPD-Aussenpolitiker Adis Ahmetovic Reuters. «Wir müssen die deutsche China-Strategie überdenken.»

Der Testfall für die schwarz-rote Koalition könnte werden, wenn als erstes Kabinettsmitglied nun statt Wadephul Vizekanzler, Finanzminister und SPD-Co-Chef Lars Klingbeil wegen des deutsch-chinesischen Finanzdialogs nach Peking fliegen könnte. Findet die Reise statt, gilt es in Berlin als denkbar, dass Peking Klingbeil nach der Verschiebung der Wadephul-Reise einen besonders freundlichen Empfang bereiten könnte. 

(Reuters)