Das wäre bereits das siebte Mal in Folge, seit die EZB im Juli 2022 nach Jahren der ultralockeren Geldpolitik die Zinswende eingeleitet hat. Allerdings rechnen Experten mehrheitlich damit, dass die Euro-Wächter um Notenbank-Chefin Christine Lagarde auch wegen der jüngsten Banken-Turbulenzen auf ihrer Ratssitzung am Donnerstag den Fuss etwas vom Gas nehmen werden.

Statt einer kräftigen Anhebung um 0,50 Prozentpunkte wie noch im März, wird ein kleinerer Schritt um 0,25 Prozentpunkte erwartet. Der an den Finanzmärkten massgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder erhalten, würde damit auf 3,25 Prozent steigen.

Die Euro-Wächter stünden vor einem Dilemma, meinen die Volkswirte der US-Bank Morgan Stanley. Denn auf der einen Seite erfordere eine hartnäckige Kerninflation mehr Zinsanhebungen, dagegen sprächen die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor eher für ein graduelles Vorgehen.

"Die Lösung aus unserer Sicht wird ein Kompromiss sein", so die Experten. Dessen Bestandteile seien ein kleiner Zinsschritt um einen Viertel-Prozentpunkt und eine Wiederbelebung der Zinsprognose der Währungshüter, die sich dann eng an die Konjunkturdaten anlehnen werde. Zuletzt hatte die EZB keine konkrete Zinsprognose mehr gegeben.

Die Gesamtinflation im Euro-Raum war zwar im März dank nachlassender Energiepreise weiter auf 6,9 Prozent gesunken nach 8,5 Prozent im Februar. Im April ging es dann allerdings wieder auf 7,0 Prozent leicht nach oben. Das mittelfristige EZB-Ziel von zwei Prozent Teuerung liegt damit noch weit entfernt.

Auch die Kernrate, in der schwankungsreiche Lebensmittel- und Energiepreise ausgeklammert sind, hat sich von 5,7 Prozent im März auf 5,6 Prozent im April nur minimal nach unten bewegt. Das könnte anzeigen, dass der starke Preisschub womöglich länger anhält als gedacht. Sorgenfalten dürften der EZB zudem die jüngsten Turbulenzen im Bankensektor bereiten, nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank in den USA und dem Notverkauf der Schweizer Grossbank Credit Suisse.

Zwar beruhigten sich die Börsen zwischenzeitlich wieder etwas. Doch die Übernahme von First Republic durch JPMorgan nach anhaltend hohen Einlagenabflüssen bei der US-Regionalbank sorgte zuletzt erneut für Unruhe. Eine Kreditklemme in der Euro-Zone käme für die EZB höchst ungelegen.

Inflation bleibt grosses Risiko

Aus Sicht von Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der niederländischen Bank ING, liegen voraussichtlich sowohl 0,25 Prozentpunkte als auch 0,50 Prozentpunkte auf dem Tisch. In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters unter Volkswirten gingen 57 von 69 Experten oder rund 83 Prozent davon aus, dass die EZB am Donnerstag die Zinsen nur um 0,25 Prozentpunkte nach oben setzen wird.

Zwölf Ökonomen oder 17 Prozent rechneten dagegen mit einem kräftigen Schritt um einen halben Prozentpunkt. Die Inflation bleibt für sie das zentrale Thema: Von 40 Volkswirten, die auf eine Zusatzfrage antworteten, stuften 32 Experten oder 80 Prozent es als das grössere Risiko ein, dass 2023 die Inflation höher ausfallen könnte als bislang erwartet.

Wie stark die Sorgenfalten bei manchen Euro-Wächtern angesichts des nach wie vor sehr kräftigen Preisschubs sind, machte unlängst Bundesbank-Präsident Joachim Nagel auf einer Veranstaltung in Washington deutlich. Die Risiken für die Preisstabilität seien aufwärtsgerichtet, merkte er dort an und ergänzte: "Daher ist es nicht selbstverständlich, dass wir auf mittlere Sicht zur Preisstabilität zurückkehren."

(Reuters)