Investoren fragen sich, ob die zeitweise durch Medienberichte angeheizten Turbulenzen am Mittwoch bewusst ausgelöst wurden, um die Reaktion auf einen solchen Angriff auf die Unabhängigkeit der Notenbank in Echtzeitbedingungen zu beobachten. Doch die Märkte scheinen von den Volten des US-Präsidenten einigermassen abgestumpft zu sein. «Ich glaube, es gibt eine Gruppe von Leuten, die dachten, es handele sich um einen Testballon», sagte Thierry Wizman, globaler Devisen- und Zinsstratege bei Macquarie in New York.
Der S&P 500 fiel am Mittwoch kurzzeitig um bis zu 0,7 Prozent und der Dollar-Index sank um 0,9 Prozent, nachdem Medienberichte die Runde machten, Trump stehe davor, Powell zu entlassen. Dass es nur zu Turbulenzen und nicht zu einem echten Börsenbeben kam, interpretierten manche Marktteilnehmer so, dass die vielen Wendungen in der US-Zollpolitik seit Jahresbeginn die Anleger bereits an abrupte politische Kurswechsel gewöhnt haben. «Händler und Investoren haben gelernt, das politische Gehabe mit Vorsicht zu geniessen», erläuterte Karl Schamotta, Chef-Marktstratege beim Finanzdienstleister Corpay.
Experten geben allerdings zu bedenken, dass Trump die Idee nicht gefallen dürfte, als Papiertiger zu gelten, der seine Vorhaben nicht durchzieht. Rick Meckler, Partner bei Cherry Lane Investments, schliesst bei dem von Kritikern als erratisch bezeichneten Vorgehen Trumps nichts mehr aus. Ihn könne da nichts mehr überraschen, egal, wie der Clinch zwischen Powell und Trump ausgehe, meint Meckler.
Dabei geht es in diesem Machtkampf zwischen Weissem Haus und Notenbank um viel: «Wenn Trump Powell absetzt, könnte das zu einer empfindlichen Abwertung des US-Dollars führen», meint Jochen Stanzl, Chef-Marktanalyst bei CMC Markets. Doch auch wenn es nicht gelingen sollte, Powell abzusetzen, bleibe das Rennen um die Nachfolge des US-Zentralbankchefs in vollem Gange.
Finanzminister Scott Bessent hat bereits öffentlich gemacht, dass die Suche läuft. Es gebe viele hervorragende Kandidaten, liess er wissen. Bessent wird selbst als einer für den Posten gehandelt. Auch Kevin Hassett, der Wirtschaftsberater Trumps, wurde in Medienberichten als möglicher Powell-Nachfolger genannt. Die Debatte läuft ungewöhnlich früh an, da Powells Amtszeit erst im Mai 2026 abläuft. Experten spekulierten darüber, ob Trump womöglich eine Art Schatten-Notenbankchef installieren wolle, um damit über diesen Umweg die Geldpolitik indirekt zu beeinflussen und seiner Forderung nach Zinssenkungen mehr Nachdruck zu verleihen.
Powell wird Misswirtschaft und eine «pompöse Renovierung» des Fed-Gebäudes in Washington vorgeworfen
Nach US-Recht kann der Präsident den Fed-Chef nicht wegen eines Streits über die Zinspolitik entlassen. Die Frage ist, ob Trump doch noch nach Wegen sucht, Powell feuern zu können. Dies scheint auch nach seinem Dementi vom Mittwoch offen. Denn der Präsident sagte zur Möglichkeit eines Rauswurfs seines Widersachers an der Spitze der Fed: «Ich schliesse nichts aus, aber das ist höchst unwahrscheinlich, ausser, wenn er wegen Betrugs gehen muss.»
Letzteres lässt aufhorchen, hatte Trumps Haushaltsdirektor Russell Vought Powell doch Misswirtschaft und eine «pompöse Renovierung» des Fed-Gebäudes in Washington vorgeworfen. Die Regierung wirft der Notenbank eine Kostenüberschreitung von 700 Millionen Dollar bei dem Projekt vor, das nun 2,5 Milliarden Dollar kosten soll. Powell hatte die Kostenüberschreitungen bei einer Anhörung im Kongress einerseits eingeräumt. Andererseits wies er Vorwürfe einer luxuriösen Ausstattung zurück.
Laut Commerzbank-Analyst Michael Pfister scheint Trump weiterhin die Grenzen dessen auszutesten, was er in Bezug auf die Fed-Unabhängigkeit wagen kann. «Die verbalen Angriffe nehmen immer weiter zu, zuletzt hat sich das Umfeld von Trump auf die Fed-Renovierung konzentriert und versucht, Powell an dieser Stelle einen Betrug anzudichten.» Und selbst wenn Trump am Ende vor einer Powell-Entlassung zurückschrecke, so habe er doch betont, dass er nur «Niedrigzins»-Kandidaten für die Nachfolge in Betracht ziehe: «Das heisst, auch ohne formelle Entlassung dürfte die Fed-Geldpolitik im kommenden Jahr wohl weiter unter Druck bleiben.»
Der Präsident der regionalen Notenbank von New York, John Williams, pocht vor dem Hintergrund der Attacken Trumps auf die Fed auf die Unabhängigkeit der US-Notenbank. Diese gilt auch der Wall Street als hohes Gut. Doch haben niedrigere Zinsen auch für so manchen Marktteilnehmer etwas Verlockendes: Trotz der Sorgen um die Unabhängigkeit der Fed würden sie die Kreditkosten für Unternehmen senken, was möglicherweise Investitionen fördern und Unternehmensgewinne steigern würde.
Gleichzeitig würden Aktien im Vergleich zu Anleihen und Spareinlagen mit niedrigerer Rendite attraktiver. «Vielleicht gibt es einige Händler, denen die Idee niedrigerer Zinsen besser gefällt als der Verlust der Unabhängigkeit», sagte Steve Sosnick, Chefstratege bei Interactive Brokers.
(Reuters)