«Das ist ein Thema, das uns heute beschäftigen wird. Wir werden da auch einen Schritt weiterkommen», sagte Merz am Donnerstag in Brüssel vor Beginn des Gipfels. Auch EU-Ratspräsident Antonio Costa zeigte sich optimistisch. Es gebe allerdings ein paar ernstzunehmende Einwendungen, über die die 27 EU-Staats- und Regierungschefs sprechen müssten, räumte Merz ein. Besonders Belgien, wo der überwiegende Teil der russischen Gelder liegt, verlangt Garantien gegen mögliche Klagen. Während die EU-Regierungen auch den Weg für das 19. Sanktionspaket gegen Russland freimachten, gab es Lob für die neuen US-Sanktionen.
Die von der EU-Kommission und Merz vorgeschlagene Nutzung des russischen Vermögens für einen Kredit über 140 Milliarden Euro für die Ukraine steht im Zentrum der Beratungen in Brüssel. Der Ukraine sollen damit die Militärausgaben der kommenden zwei oder drei Jahre finanziert werden. Am Vormittag nimmt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der als Kritiker des EU-Kurses gilt, nicht an den Beratungen in Brüssel teil.
Belgien knüpft die Zustimmung zu einem 140-Milliarden-Euro-Kredit für die Ukraine aus russischem Vermögen an drei Bedingungen. Noch sehe er keine Rechtsgrundlage für eine solche Entscheidung, betonte Ministerpräsident Bart De Wever. Belgien spielt eine Schlüsselrolle, da der Finanzdienstleister Euroclear, der einen Grossteil des russischen Geldes verwahrt, dort seinen Sitz hat.
De Wever forderte eine vollständige Vergemeinschaftung des Risikos von Klagen sowie Garantien. Alle EU-Mitglieder müssten ihren Beitrag leisten, falls das Geld zurückgezahlt werden müsse. Zudem müsse jedes Land, das Vermögenswerte mobilisiert habe, im gleichen Tempo voranschreiten. «Wir sind die Einzigen, Euroclear ist das einzige Finanzinstitut, das die unerwarteten Gewinne an die Ukraine weitergibt», sagte De Wever. «Wir wissen, dass es in anderen Ländern, die sich dazu immer ausgeschwiegen haben, riesige Mengen an russischem Geld gibt.» Dies gehört allerdings oft nicht der russischen Nationalbank wie bei Euroclear, sondern russischen Oligarchen.
Russland warnte die EU vor einer «direkten Konfiszierung» seines eingefrorenen Vermögens. Jede Massnahme der EU zur Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte auf Euroclear-Konten werde eine «schmerzhafte Reaktion» Russlands nach sich ziehen, sagte die Sprecherin des Aussenministeriums in Moskau, Maria Sacharowa. Allerdings haben Merz und die EU-Kommission stets betont, dass es sich nicht um eine Enteignung handele. Vielmehr soll die Ukraine über ein kompliziertes Verfahren einen MilliardenkKredit erhalten. Zurückzahlen müsste sie diesen erst, wenn Russland nach einem Kriegsende Reparationen für die Schäden in dem 2022 überfallenen Land zahlt.
Die EU-Staaten hatten sich auch auf ein 19. Sanktionspaket gegen Russland wegen des Ukraine-Überfalls geeinigt. Es enthält unter anderem ein Einfuhrverbot für russisches Flüssigerdgas (LNG). Die Massnahmen umfassen zudem einen neuen Mechanismus zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit russischer Diplomaten. Die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas erklärte, das Paket richte sich unter anderem gegen russische Banken, Krypto-Börsen sowie Unternehmen in Indien und China. Betroffen sind etwa zwei grosse chinesische Raffinerien und Chinaoil Hong Kong, eine Handelssparte von PetroChina. Diese verarbeiten importiertes russisches Öl. Gemeinsam mit den G7-Staaten versucht die EU, Russlands Mittel zur Finanzierung seines Krieges in der Ukraine weiter zu schmälern, indem sie die für Moskau lebenswichtigen Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung kürzt.
Auch die US-Regierung hatte nach monatelangem Zögern am Mittwoch überraschend Sanktionen gegen den russischen Öl- und Gassektor verhängt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der auch am EU-Gipfel teilnahm, begrüsste die neuen Sanktionspakete der EU und der USA. «Die amerikanischen Sanktionen sind auch sehr wichtig, und dies ist ein gutes Signal an andere Länder der Welt, sich den Sanktionen anzuschliessen.» Lob kam auch von der EU-Aussenbeauftragten Kallas und dem deutschen Vizekanzler Lars Klingbeil.
Scharfe Kritik kam dagegen aus Russland: US-Präsident Donald Trump ist nach den Worten des russischen Spitzenpolitikers Dmitri Medwedew «auf dem Kriegspfad» mit Russland. Dies zeigten Trumps Entscheidungen, das Gipfeltreffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin abzusagen und Sanktionen gegen russische Öl-Konzerne zu verhängen, sagte Medwedew, der als Vertrauter Putins gilt.
(Reuters)