Die EU-Kommission passte am Dienstag ihre Emissionsrichtlinien für die Autobranche an. Die CO2-Flottenemissionen müssen nach den neuen Regelungen ab 2035 nur noch um 90 Prozent im Vergleich zu 2021 sinken - statt wie zunächst geplant um 100 Prozent. Damit können auch danach noch neue Hybrid- oder Benzinautos oder Elektrofahrzeuge mit Benzingenerator an Bord, sogenannte Range Extender, zugelassen werden. Sollten die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament dem Vorschlag der EU-Kommission zustimmen, wäre es die weitreichendste Kehrtwende in der Klimapolitik in den vergangenen fünf Jahren.
Die Kommission reagiert damit auf den Druck der Autobranche, die angesichts der schleppenden Nachfrage nach Elektroautos ein Entgegenkommen gefordert hatte, sowie auf entsprechende Vorstösse aus Autoländern wie Deutschland und Italien. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte, mehr Technologieoffenheit und mehr Flexibilität seien richtige Schritte, um Klimaziele, Marktrealitäten, Unternehmen und Arbeitsplätze besser zusammenzubringen. Merz hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuletzt per Brief zum Einlenken aufgefordert.
Dem deutschen Branchenverband VDA gingen die Zugeständnisse nicht weit genug. VDA-Präsidentin Hildegard Müller sagte, Brüssel enttäusche mit seinem Entwurf. «Die richtigerweise anerkannte Technologieoffenheit muss mehr als ein Lippenbekenntnis sein», sagte sie. «Was nach mehr Offenheit aussieht, ist mit so vielfältigen Hürden versehen, dass es droht, in der Praxis wirkungslos zu bleiben.» Der Verband kritisierte insbesondere, dass die Emissionen durch den Verkauf von Verbrennern nach 2035 durch den Einsatz von grünem Stahl aus Europa oder durch eine Nutzung von klimaneutralen Kraftstoffen ausgeglichen werden sollen.
Bei den Autobauern selbst stiess der Vorstoss der EU-Kommission dagegen auf Zustimmung. Ein Volkswagen-Sprecher bezeichnete die Neuregelung als wirtschaftlich vernünftig. Die EU-Kommission mache mit ihrem Vorschlag deutlich, dass Elektromobilität die führende Technologie der Zukunft sei. «Dies ist auch für den Volkswagen-Konzern unstrittig.» Eine Mercedes-Sprecherin sagte, Mobilität müsse CO2-neutral werden und batterie-elektrische Mobilität bleibe der Hauptpfad zur Dekarbonisierung der Industrie. Nun gelte es, die Auswirkungen des vorgeschlagenen Kompensationsansatzes hinsichtlich grünen Stahls und CO2-neutralen Kraftstoffen genau zu analysieren. BMW erklärte, es sei ein erster wichtiger Schritt, dass die EU-Kommission nicht mehr Technologieverbote als Leitprinzip verfolge, sondern die Zukunftsfähigkeit des Verbrennungsmotors anerkenne. Nun müsse der weitere Prozess der CO2-Flottengesetzgebung sicherstellen, dass es nicht zu einer Scheinlösung komme, sondern Europa den Weg aus der regulatorischen Sackgasse finde.
Umweltlobbyisten warfen der Kommission dagegen vor, die Branche im Rennen mit den aufstrebenden Anbietern aus China zu schwächen. Es sei der falsche Zeitpunkt für Europa, sich selbst den Wind aus den Segeln zu nehmen, sagte Chris Heron, Generalsekretär von E-Mobility Europe. William Todts von Transport & Environment sagte, die EU ziehe Komplexität der Klarheit vor. «Schnellere Pferde zu züchten hätte den Aufstieg des Automobils nicht gebremst», sagte er. Jeder Euro, der jetzt für Hybride ausgegeben werde, fehle bei Elektroautos, während China weiter an Boden gewinne. «Wenn man jetzt an Verbrennern festhält, wird das Europas Autobauer nicht wieder gross machen.»
Der Absatz von Elektroautos in der EU schwächelt derzeit und konzentriert sich überdies vorwiegend auf mehrere Länder im Norden und Westen des Kontinents, während in Süd- und Osteuropa Elektroautos bislang nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Analysten vom Brokerhaus Jefferies sprachen von einer Neuausrichtung auf dem weltweiten Markt für Elektroautos und verwiesen dabei auch auf das Aus für prestigeträchtige Elektro-Pickups und die damit verbundene Milliardenabschreibung bei Ford. «Es ist eindeutig, dass der weltweite Autosektor einen Reset-Moment erreicht und sich nicht auf einer geraden Linie zur Elektrifizierung befindet.»
Um den Markt in Schwung zu bekommen, macht sich die EU-Kommission für eine weitere Förderung stark. So soll eine neue Kategorie kleiner E-Autos aus Europa eingeführt werden, die bei der Berechnung der Flottengrenzwerte besonders begünstigt sein sollen. Für kommendes Jahr hat Volkswagen eine Reihe von Autos um den ID.Polo angekündigt, die in diese Kategorie fallen, Renault und Stellantis haben solche Fahrzeuge schon jetzt im Angebot.
Zudem sollen Unternehmen und Mietwagenfirmen Vorgaben zum Einsatz von Elektroautos erhalten. Konstantin Sixt, Co-Chef des gleichnamigen Autovermietes sprach hier von einer Verschärfung und einem faktischen Vorziehen des Verbrenner-Aus um fünf Jahre für einen Grossteil der Neuzulassungen etwa in Deutschland. Brüssel solle sich vielmehr auf einen Ausbau der Schnellladeinfrastruktur konzentrieren. Schliesslich soll der Aufbau von Batteriefabriken und der dazugehörigen Rohstoffkette in Europa unterstützt werden.
(Reuters)
