Dabei wird mit Spannung erwartet, welche Mehrheiten sich finden werden. Nachdem vor drei Wochen ein erster Kompromiss überraschend geplatzt war, ist nun - im Gegensatz zu vielen anderen Abstimmungen - noch unklar, welche Entscheidungen mit welchen Mehrheiten getroffen werden.
Dass der von der EVP-Fraktion, zu der auch CDU und CSU gehört, Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen ausgehandelte Kompromiss keine Mehrheit gefunden hatte, sorgte für heftige Kritik. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nannte das Ergebnis eine «fatale Fehlentscheidung» und forderte eine Korrektur.
Lieferkettenrichtlinie in der Kritik
Das europäische Lieferkettengesetz wurde eigentlich bereits vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken. Grosse Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren.
Nach Kritik von Unternehmen sollen Teile der Richtlinie vereinfacht werden, noch bevor sie angewendet werden. Über diesen Schritt soll nun das Parlament abstimmen, bevor zusammen mit den EU-Staaten eine finale Entscheidung getroffen wird.
Klingbeil dringt auf Mehrheit der Mitte
Nach Ansicht von Deutschlands Vizekanzler Lars Klingbeil soll das Parlament seine Mehrheit ohne Stimmen von Rechtsaussen beschliessen. «Das ist auch die Erwartung, die wir als Bundesregierung haben», sagte der SPD-Politiker in Brüssel.
Das Europäische Parlament müsse die Kraft haben, in der demokratischen Mitte hier eine gemeinsame Position zu finden. «Ich bin mir mit dem Kanzler auch einig, dass das klappen kann und dass es klappen soll», ergänzte Klingbeil.
EVP-Vertreter hatten in der Vergangenheit bereits offen darüber gesprochen, dass auch andere Mehrheiten denkbar wären. Im Parlament gehen nun einige davon aus, dass die EVP auf Stimmen von rechtsaussen stehenden Abgeordneten bauen könnte, um ihre Position durchzubringen. Damit wären deutlich drastischere Änderungen denkbar.
Kritik von Sozialdemokraten und Grünen
Die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini sieht darin ein gefährliches Spiel der Konservativen um ihren Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber (CSU). «Zum ersten Mal will die EVP ein Gesetz sehenden Auges mit den extrem Rechten durchs Plenum bekommen», so Cavazzini.
Belastungsprobe
EVP, Liberale und S&D arbeiten eigentlich in einer Art informeller Koalition zusammen. Sie haben eine knappe Mehrheit im Parlament und hatten - mit Unterstützung der Grünen und wohl auch Stimmen der rechtskonservativen EKR-Fraktion - eine Mehrheit für eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin sichergestellt.
Aus der S&D heisst es, die EVP verbünde sich mit der extremen Rechten, um unkontrollierte Deregulierung durchzusetzen. Die Abstimmung wird also zur Belastungsprobe für die informelle Zusammenarbeit, die genauen Auswirkungen sind im Detail aber nicht absehbar.
(AWP)
