Setzen sich in der Europäischen Union (EU) die Befürworter einer scharfen Kapitalmarkt-Reform durch, dürfte Experten zufolge über die Zeit das hunderte von Milliarden Franken schwere Geschäft mit in der Schweiz verbuchten Vermögen von reichen Deutschen erodieren. Ein entsprechender Entwurf hat viele Schweizer Banken aufgeschreckt. "Der Worst Case würde bedeuten, dass man das grenzüberschreitende Geschäft mit Deutschen so nicht mehr betreiben kann," erklärt Norman Karrer vom Bankenberater ZEB. Wie einschneidend die Reform schliesslich ausfalle, hänge von den Gesprächen zwischen den EU-Organen in den kommenden Monaten ab.

Die EU arbeitet derzeit an einer umfassenden Anpassung der Kapitalrichtlinien. Die sogenannte Capital Requirements Directive VI (CRD VI) sieht unter anderem vor, dass die Regeln für den EU-Marktzugang für Banken aus Drittstaaten vereinheitlicht werden. Gegenwärtig haben die einzelnen Länder diesbezüglich viel Spielraum. Während etwa Frankreich oder Italien restriktiv sind, erlaubt Deutschland Banken von ausserhalb der EU, Dienstleistungen grenzüberschreitend anzubieten. Einem Entwurf der EU-Kommission zufolge könnte damit nun Schluss sein. Dies würde bedeuten, dass nur noch Banken mit einer physischen Präsenz Kunden in dem betreffenden EU-Land aktiv betreuen dürften. Ein Treiber des Kurswechsels sei der Brexit gewesen, erklärt ein Schweizer Branchenvertreter. "Die Schweiz ist ein Kollateralschaden, eigentlich ist das gegen UK gerichtet."

Die Schweizer Institute sind verunsichert. "Das ist ein hoch brisantes Thema", erklärt ein Banker, der anonym bleiben wollte. Und die Schweizer Institute haben viel zu verlieren. 2021 lagen dem Bankenverband SBA zufolge insgesamt 2,4 Billionen Franken von Privatkunden aus dem Ausland bei Banken in der Schweiz. Ein Experte geht davon aus, dass ein Fünftel bis ein Viertel davon aus Deutschland stammen könnte. Bei kleineren Instituten dürfte dieser Anteil noch weitaus höher liegen.

Deutsche steuern Schweiz als sicheren Hafen an

Sollte CRD VI in einer scharfen Form umgesetzt werden, würden Schweizer Banken wie UBS, Credit Suisse, Julius Bär und Dutzende weitere dieses Geld zwar nicht unmittelbar verlieren. Aber die Berater könnten Kunden, die in Deutschland leben, nicht mehr aus Zürich, Basel oder Genf ansprechen. Zudem dürften die Banken im Nachbarland aktiv keine Kunden mehr werben. Zusammen würde dies dazu führen, dass die Kundengelder wegen Erbfällen oder Ausgaben etwa für Immobilien über die Jahre abschmelzen. "Der jährliche Sockelverlust beträgt etwa fünf Prozent", schätzt Karrer. "Es ist viel schwieriger, neue Kunden zu gewinnen, wenn man sie nicht aktiv ansprechen kann."

Um einer solchen Schrumpfung etwas entgegenzusetzen, könnten die Banken die Kunden vorort bedienen, also aus einer deutschen Niederlassung. Gerade die grossen Vermögensverwalter machen das bereits, die Volumen sind aber deutlich geringer als im Offshore-Geschäft. Zudem ist das kein vollwertiger Ersatz. "Das ist ein anderes Geschäft mit anderen Kunden und anderen Produkten", erklärte der Schweizer Branchenvertreter. Viele Deutsche brächten einen Teil ihres Geldes bewusst in die Schweiz. Im Gegensatz zu früher gehe es dabei nicht mehr darum, Schwarzgeld zu verstecken. Die Kunden wollten in eine andere Währung und einen anderen Rechtsraum diversifizieren, um das Vermögen in Krisenzeiten zu schützen.

Für viele kleine Banken wäre die Gründung von Zweigstellen zudem zu teuer. Insgesamt haben gegenwärtig 56 Schweizer Finanzhäuser die Erlaubnis der Bafin, in Deutschland grenzüberschreitend Kunden zu betreuen.

Innerhalb der EU-Gremien sind die Meinungen zum Vorschlag der Kommission noch nicht gemacht. Als Nicht-EU-Mitglied kann die Schweiz zwar nicht mitbestimmen, mit Lobbying bei Mitgliedern und Abgeordneten versucht das Land aber trotzdem, das Blatt zu wenden. So können sich die Schweizer Banken immer noch Hoffnung machen, dass etwa nur das Einlagengeschäft, nicht aber die Vermögensverwaltung einer Niederlassungspflicht unterstellt wird. Am Schluss muss sich die Kommission mit dem Ministerrat und dem Parlament einigen. "Alle politischen Entscheidungsträger sind willens, das Dossier so schnell wie möglich zu schliessen und arbeiten daran, dass es zu einer Veröffentlichung der finalen Entwürfe Mitte 2023 kommen wird", erklärt eine mit der Situation vertraute Person aus einem EU-Land. In Kraft treten würde die Reform dann 2025. 

(Reuters)