Die Einfuhr von russischem Flüssigerdgas (LNG) ist um etwa 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Gezahlt hat die EU dafür von Januar bis September den Rekordbetrag von 12,5 Milliarden Euro - fünfmal mehr als im Vorjahr. Eine schmerzliche Lektion für die EU, die Russland wegen des Kriegs in der Ukraine eigentlich durch Sanktionen Einnahmen entziehen will.

Grund dafür sind die schwindenden Lieferungen von russischem Pipelinegas, die die Abnehmer ersetzen müssen. Der Nachfrageschub aus Ländern wie Frankreich und Belgien hat Russland zum zweitwichtigsten LNG-Lieferanten Nordwesteuropas gemacht - deutlich hinter den USA aber vor Katar. Dies geht aus Schiffs- und Hafendaten hervor.

"Russisches LNG muss weiter fliessen", sagte Anne-Sophie Corbeau vom Center on Global Energy Policy der Columbia University. "Die globale LNG-Bilanz ist ohnehin schon eng genug. Ich denke, dass die meisten europäischen Länder in dieser Hinsicht gerne ein Auge zudrücken."

Grossbritannien boykotiert

In Europa haben nur Grossbritannien und die baltischen Staaten den Kauf von russischem LNG eingestellt. Russisches Öl hingegen wird in der gesamten Region gemieden, und ein EU-Verbot soll am 5. Dezember in Kraft treten.

Ein komplettes Gasembargo wurde nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Doch sucht die EU nach alternativen Lieferquellen. Noch in diesem Jahr sollen fast zwei Drittel der russischen Gaseinfuhren ersetzt werden, hauptsächlich durch LNG aus der ganzen Welt. Tatsächlich ist der Anteil Russlands an der Gasversorgung von mehr als einem Drittel im letzten Jahr auf weniger als 10 Prozent gesunken. Davon besteht fast die Hälfte inzwischen aus LNG.

Die meisten weltweiten LNG-Lieferungen sind in langfristigen Verträgen mit grossen multinationalen Konzernen festgeschrieben, die weitgehend frei von staatlicher Kontrolle sind. Der französischen TotalEnergies beispielsweise gehört 20 Prozent an Russlands grösster Produktionsanlage in Jamal. Das Unternehmen hat zwar Neuinvestitionen in Russland gestoppt und Teile des Geschäfts im Land verkauft, will aber in Jamal bleiben, um die Gasversorgung Europas zu sichern - solange es die Sanktionen erlauben.

Einschränkungen befürchtet

Nicht auszuschliessen ist allerdings, dass Russland seinerseits die LNG-Lieferungen einschränkt, wie es dies bereits bei den Pipelines getan hat. Anfang dieses Jahres hat Moskau die Lieferung des supergekühlten Brennstoffs an die deutsche Tochter Gazprom Germania untersagt, nachdem die Bundesnetzagentur dort die Kontrolle übernommen hatte. Einige Abnehmer fürchten auch, dass der Kreml Rubelzahlungen für LNG verlangen könnte, aber bisher gibt es keine solche Entscheidung.

Die Auswirkungen des LNG-Booms auf den russischen Haushalt sind unklar. Moskau hat zwar weniger Gas über Pipelines nach Europa geliefert, wird aber von den horrenden Marktpreisen dennoch profitiert haben. Im Moment hat Europa kaum eine andere Wahl, als weiter russisches Flüssiggas zu kaufen.

Der Gasmarkt "wird wahrscheinlich eng bleiben, bis frühestens 2025 neue LNG-Quellen zur Verfügung stehen", meint Kate Dourian, Expertin am Arab Gulf States Institute in Washington. "Es ist zweifelhaft, dass die EU sich auf strengere Sanktionen einigen kann, die auch russisches LNG einschliessen."

(Bloomberg)