Der Funke will nicht so recht überspringen. Während in den USA in diesem und im vergangenen Jahr 522 leere Firmenmäntel an die Börse gebracht wurden und auf die Suche nach Unternehmen gehen, sind es in Europa gerade einmal eine Handvoll. Stecken in amerikanischen SPACS mehr als 300 Milliarden Dollar von Investoren, haben europäische erst 1,3 Milliarden eingesammelt. Und auch die jungen, aufstrebenden Tech-Firmen aus Europa, denen SPACs den Weg "durch die Hintertür" an die Börse ebnen wollen, zieren sich.
Der Chef von Europas wertvollstem FinTech Klarna, Sebastian Siemiatkowski, hat einem Börsengang über die Verschmelzung des schwedischen Zahlungsdienstleisters auf eine "Special Purpose Acquisition Company" (SPAC) eine Absage erteilt: "Niemand hat mich bisher überzeugen können, warum das der bessere Weg wäre."
Hohe Kosten
Auch die hochgehandelten Überweisungs-Dienstleister Trustly und Wise (früher TransferWise) wollen lieber direkt an die Londoner Börse gehen als über ein SPAC, wie mehrere Insider der Nachrichtenagentur Reuters sagten. Dafür gibt es Gründe. Einer davon sind die relativ hohen Kosten. Denn die Initiatoren eines SPAC bekommen für ihre Mühe, die sie sich mit der Suche nach Investoren und nach einem Übernahmeobjekt machen, in der Regel 20 Prozent an der Firma - unentgeltlich.
Zudem sind die regulatorischen Hürden vor einem Börsengang in Europa deutlich niedriger als in den USA, wo viele junge Firmen vor dem aufwendigen und teuren Genehmigungsprozess bei der Börsenaufsicht SEC zurückschrecken und lieber unter einen bereits gelisteten Unternehmensmantel schlüpfen. "Deshalb hat ein SPAC nicht die gleiche Anziehungskraft im Vergleich zu einem konventionellen Börsengang wie in den USA", erklärt Pär-Jörgen Pärson, der mit der Start-up-Beteiligungsgesellschaft Northzone in Firmen wie Klarna und Spotify investiert hat.
Jeden Morgen eine SPAC-Mail
Auch Johnny Boufarhat hat keine Angst vor dem Gang an die Börse: "Ich bekomme fast jeden Morgen eine Email von irgendeinem Verkäufer, der mir sagt, dass ich einen SPAC mit ihnen machen soll", erzählt der Vorstandschef von Hopin, einer Londoner Firma für virtuelle Veranstaltungstechnik. "Das ist interessant, aber für uns macht das keinen Sinn." Boufarhat will mit Hopin Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres an die Londoner Börse. Das Unternehmen wird von seinen Investoren inzwischen mit rund 5,65 Milliarden Dollar bewertet.
Dazu kommt, dass mit Risikokapital finanzierte Start-ups in Europa wesentlich reifer sind als amerikanische, wenn sie an die Börse gehen. Nach Daten von Refinitiv sind solche Börsenneulinge in Europa im Schnitt zehneinhalb Jahre alt, fast doppelt so alt wie in den USA. Klarna etwa gibt es schon seit 2005, Trustly ist 13 Jahre alt, Wise wurde 2011 gegründet.
Im Umkehrschluss könnte das aber heissen, dass die SPACs nach Firmen greifen, die noch zu unerfahren sind für den Kapitalmarkt - mit der Gefahr, dass die Blase irgendwann platzt wie im Dotcom-Boom um die Jahrtausendwende. "Wenn man noch nicht reif für einen Börsengang ist, wird man irgendwann enttäuschen, und dann verbrennt man das Geld der Leute", warnt Harry Nelis, Investor des Londoner Start-up-Finanzierers Accel.
Der Wettlauf treibt die Preise
Das erste deutsche Unternehmen, das bei einem amerikanischen SPAC unterschlüpfen will, ist die bayerische Lilium. Sie hat ein Flugtaxi entwickelt, einen Hubschrauber-ähnlichen Senkrechtstarter, der aber erst 2024 serienreif sein soll. Für das SPAC Qell Acquisition, auf das Lilium verschmolzen werden soll, ist die Firma aus Oberpfaffenhofen bei München aber schon jetzt 3,3 Milliarden Dollar wert. Auch der Chef des Lilium-Rivalen Volocopter, Florian Reuter, zeigt im Gespräch mit Reuters Interesse an einer SPAC-Transaktion.
Der Wettlauf um die aussichtsreichsten Firmen treibt die Bewertungen: Bei Lilium ist sie mehr als dreimal so hoch wie bei der letzten Finanzierungsrunde. Der britische Online-Autohändler Cazoo, der im Oktober noch mit 2,6 Milliarden Dollar bewertet worden war, ist dem SPAC Ajax I bei der Übernahme sieben Milliarden wert. Doch je höher die Bewertung, desto grösser ist auch das Rückschlagspotenzial.
Leere Hülse
Die Idee, mit einem SPAC erst Geld bei Investoren zu sammeln und die leere Hülle erst dann mit Leben zu füllen, ist fast 30 Jahre alt. Doch zum Boom ist sie erst in den letzten 12 bis 18 Monaten geworden. Nathaniel Rothschild, ein Spross der berühmten Banker-Dynastie, hat bereits 2010 ein 1,1 Milliarden Dollar schweres SPAC organisiert und damit das Kohlebergbau-Unternehmen Bumi an die Börse gebracht. Er sieht die Entwicklung kritisch: "Der grosse Unterschied zwischen dem, was wir versucht haben, und dem, was die meisten SPACs heute machen, ist, dass wir ein Unternehmen kaufen und behalten wollten. Viele der SPAC-Organisatoren sind nur Vermarkter - und steigen aus, wenn die Fusion durch ist."
Investmentbanker Berthold Fürst hat für die Deutsche Bank schon einige SPAC-Transaktionen begleitet. Das Institut ist nach Kundenanfragen auf den Zug aufgesprungen und hat im vergangenen Jahr ein eigenes Team von Spezialisten für SPACs in Europa aufgestellt. Er ist vorsichtig optimistisch: "In Europa wurden in diesem Jahr sechs SPACs aufgelegt, noch einmal so viele haben es angekündigt", sagte Fürst zu Reuters. "Insgesamt werden wir eine Rekordzahl sehen, auch wenn die Zahlen insgesamt deutlich unter denen in den USA liegen werden."
(Reuters)