Ökonomen sehen die Wahrscheinlichkeit, dass die Wirtschaftskraft der Eurozone in den nächsten 12 Monaten zwei Quartale in Folge schrumpfen wird, inzwischen bei 80 Prozent, so eine Bloomberg-Umfrage. In einer früheren Erhebung war das Risiko noch mit 60 Prozent beziffert worden. 

Deutschlands Bruttoinlandsprodukt wird womöglich schon in diesem Quartal sinken. Die grösste Volkswirtschaft der EU ist mit am stärksten von der Drosselung der russischen Gaslieferungen betroffen. 

Während Haushalte und Unternehmen in Europa bereits mit Rekordraten bei der Inflation und mit Versorgungsengpässen zu kämpfen haben, rückt nun zunehmend die Vorbereitung auf mögliche Energierationierungen in den Fokus. Unternehmensumfragen deuten darauf hin, dass die Wirtschaftstätigkeit seit Juli rückläufig ist. Anzeichen für eine baldige Besserung gibt es kaum.

Höchststand von 9,6 Prozent

Die Inflation dürfte im Schlussquartal 2023 den Höchststand von 9,6 Prozent erreichen. Die von Bloomberg befragten Ökonomen gehen davon aus, dass sich die Teuerung erst im Jahr 2024 wieder dem zwei Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank nähern wird.

Bei der Aktualisierung der EZB-Geldpolitik in diesem Monat gingen die Notenbanker davon aus, dass die Wirtschaft des Euroraums nur stagnieren und nicht schrumpfen wird. In Bezug auf die Wachstums- und Inflationsaussichten in der Region schlugen sie jedoch zunehmend Alarm.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde und ihre Kollegen haben grössere Zinserhöhungen als Zeichen ihrer Entschlossenheit gerechtfertigt, die Teuerung einzudämmen. Ökonomen sind gleichwohl der Meinung, dass ihnen die Zeit für solche Massnahmen davonläuft.

Zinserhöhung um 75 Punkte?

Die befragten Ökonomen gehen davon aus, dass die EZB den Einlagensatz bis Februar auf zwei Prozent anhebt und bis mindestens Dezember 2023 auf diesem Niveau belässt. Auf der nächsten EZB-Sitzung im Oktober erwartet mehr als die Hälfte der Ökonomen eine Zinserhöhung um 75 Basispunkte.

EZB-Chefökonom Philip Lane sagte letzte Woche, die ungewöhnlich grosse Zinserhöhung in diesem Monat sei "angemessen" gewesen. Künftige Schritte dürften jedoch kleiner ausfallen. Andere EZB-Vertreter äusserten nach der jüngsten Entscheidung gegenüber Bloomberg, dass sie eine weitere Zinsanhebung um 75 Basispunkte nicht ausschliessen.

(Bloomberg)