Die Karriere von Rupert Stadler verlief steil, sein Fall war tief. Bei Europas grösstem Autobauer Volkswagen stieg er zum Chef des Premiumherstellers Audi sowie in die oberste Chefetage in Wolfsburg auf. Im Dieselskandal um millionenfach manipulierte Abgaswerte kam er 2018 vorübergehend in Untersuchungshaft und wurde von seinem Arbeitgeber geschasst. Nun muss er befürchten, in der Sache als erster VW-Konzernvorstand wegen Betrugs verurteilt zu werden. Doch nach dem 163. Verhandlungstermin im Strafprozess verliess Stadler das Landgericht München am Mittwoch in gelöster Stimmung. Der Prozess könnte für ihn ein glimpfliches Ende nehmen.

Der Manager, der die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft stets bestritten hat, und seine Anwälte denken über ein massgeschneidertes Geständnis nach, dem ein mildes Urteil folgen könnte. Das Schnittmuster dafür hat Richter Stefan Weickert vorgezeichnet. Das neunseitige Dokument, das Weickert Ende März in öffentlicher Sitzung herunterhaspelte, hat es in sich. Selbst die Staranwälte in dem Prozess erbaten sich wochenlange Bedenkzeit, um die in langen Schachtelsätzen verklausulierten Hinweise und deren Konsequenzen zu verstehen. Der Richter besteht auf "einem vollumfänglichen Geständnis im Sinne der gegebenen Hinweise". Möglich sei dann "eine Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann". Weil der Verzicht auf Gefängnis nur bei maximal zwei Jahren Freiheitsstrafe möglich ist, machte Weickert damit auch deutlich, dass er weit unter der Höchstrafe von zehn Jahren bleiben will, die das Gesetz für schweren Betrug vorsieht.

«Es wird jedes Szenario durchgedacht»

Für Stadler, der vor einem Monat 60 Jahre alt wurde, ist es eine Entscheidung über sein künftiges Leben. Will er weitere Jahre für einen Unschuldsbeweis kämpfen? Ein Urteil, das bis zum Sommer erwartet wird, könnten sowohl er als auch die Staatsanwaltschaft vor dem Bundesgerichtshof anfechten. Oder soll er im Einvernehmen mit Gericht und Staatsanwaltschaft eine Mitverantwortung einräumen und damit das Strafverfahren abhaken? Aber auch finanzielle Fragen gilt es zu bedenken. Bei einer Verurteilung drohen Stadler und seine beiden Mitangeklagten auf millionenschweren Prozesskosten sitzenzubleiben. Ausserdem könnte ein Geständnis Schadenersatzforderungen untermauern. "Wenn man ein Verfahren beenden will, muss man immer alle Konsequenzen im Auge behalten", sagt Stadlers Verteidiger Thilo Pfordte. "Es wird jedes Szenario durchdacht", fügt Stadlers Sprecherin hinzu.

Anders als den beiden Mitangeklagten wird Stadler nicht vorgeworfen, Motoren manipuliert zu haben, die auf dem Prüfstand die Einhaltung von Abgasvorschriften simulierten. Vielmehr soll es der Audi-Chef versäumt haben, nach dem Bekanntwerden der Manipulationen den Verkauf betroffener Autos der Marken Audi und VW zu stoppen. Bisher ging die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Stadler bereits beim Auffliegen des Skandals im September 2015 die Folgen in seinem Verantwortungsbereich erkannte. Aber nach Einschätzung des Gerichts wurde ihm die Tragweite wohl erst zehn Monate später klar. Damit wäre er nicht mehr für die Auslieferung von 120.000 manipulierten Fahrzeuge verantwortlich, wie es in der Anklage hiess, sondern für deutlich weniger. Wie viele, wird von den Prozessbeteiligten noch zusammengezählt.

Vergleich mit VW erleichtert die Sache

Zudem schränkte der Richter den Kreis der für den Strafprozess relevanten Fahrzeuge so geschickt ein, dass Stadler mit einem Geständnis kaum noch Schadenersatzforderungen in Zivilprozessen nähren dürfte. Denn das Gericht will sich nur noch mit Autos beschäftigen, die der VW-Konzern an seine Vertragshändler und seine eigenen Leasinggesellschaften verkaufte. Strafrechtlich könnte dies nach Ansicht des Gerichts für eine Verurteilung reichen. Zivilrechtlich aber hätte Stadler wohl wenig zu befürchten, weil er sich mit dem Konzern bereits 2021 auf einen Vergleich geeinigt hat.

Die Mitangeklagten hoffen ebenfalls auf Bewährungsstrafen. Der Ingenieur Giovanni P. hat bereits ein Geständnis abgelegt. Der frühere Audi- und Porsche-Manager Wolfgang Hatz erwägt dies ebenfalls, wie einer seiner Verteidiger durchblicken liess. Bei Hatz lehnt die Staatsanwaltschaft jedoch eine Bewährungsstrafe ab. Dies sei in seinem Fall nicht angemessen, sagt eine Person aus Kreisen der Strafverfolger. Allerdings ist das Gericht bei einem Urteil nicht an das Votum der Staatsanwaltschaft gebunden.

Zum Stillhalten verdonnert

Kurz bevor Stadler nach der öffentlichen Verhandlung am Mittwoch aufbrach, brütete er mit seiner Verteidigerin Ulrike Thole-Groll auf einer Bank im Gerichtsflur noch einmal über den Unterlagen. Dann zogen sich die sechs Anwälte ohne ihre drei Mandanten wieder in den Saal B 275 zurück, um hinter verschlossenen Türen mit den fünf Richtern und dem Staatsanwalt einen Deal auszuloten. Fast zwei Stunden lang wurde gerungen.

Das Gespräch sei konstruktiv gewesen, sagen Teilnehmer, auch wenn dort erwartungsgemäss nicht alles geklärt worden sei. Richter Weickert habe zwar einen Weg aufgezeigt, wie der zäh verlaufende Prozess nach mehr als zweieinhalb Jahren beendet werden könne. Doch sei bisher nicht für alle Beteiligten ein gangbarer Pfad gefunden worden. Weickert verdonnerte seine Gesprächspartner zum Stillhalten. Den Stand will er nach Angaben eines Gerichtssprechers beim nächsten öffentlichen Termin am Dienstag (25. April) selbst bekanntgeben. Dann wollen sich auch Stadlers Verteidiger äussern. Stadler persönlich will nach Angaben seiner Sprecherin am Dienstag noch schweigen.

(Reuters)