Die Europäische Zentralbank (EZB) hält den Leitzins zum dritten Mal in Folge konstant. Auf der auswärtigen Sitzung in Florenz hielt der EZB-Rat am Einlagensatz von 2,0 Prozent fest. Es folgen Stimmen von Experten:

Mark Wall, Chefökonom für Europa, Deutsche Bank:

«Wo ist der rauchende Colt für eine Zinssenkung? Trotz der US-Zölle, trotz der vielfältigen Ursachen der Unsicherheit ringt sich die europäische Wirtschaft weiterhin zu einem leichten Wachstum durch. Wirtschaftliche 'Resilienz' hält die EZB-Tauben in Schach und die Zinspause auf Kurs.»

Alexander Krüger, Chefökonom, Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank:

«Die EZB hat sich gelassen gezeigt und ihr Wording sozusagen beibehalten. Mit Blick auf ihre Datenabhängigkeit kann zwar noch immer etwas passieren. Auf ein Finetuning bei der Inflation wird die EZB aber wohl verzichten. Ohnehin dürfte sie ihre recht niedrige Inflationsprojektion von 1,7 Prozent für 2026 im Dezember anheben. Überlegungen hinsichtlich einer Leitzinssenkung wären spätestens dann vom Tisch. Die Positionierung des Leitzinses am unteren Rand des neutralen Leitzinsbereichs erscheint sinnvoll. Dies auch deshalb, weil die Wirtschaft weiterhin nicht nach geldpolitischer Unterstützung rufen dürfte. Mit einer nochmaligen Zinssenkung setzte sich die EZB eher dem Verdacht aus, EWU-Staatsfinanzen proaktiv zu helfen.»

Friedrich Heinemann, ZEW:

«Die EZB hat sich mit Recht gegen eine weitere Zinssenkung entschieden. Mit Deutschland schwenkt die grösste Ökonomie der Euro-Zone in ihrer Haushaltspolitik auf einen stark expansiven Kurs ein. (...) Immer mehr zeichnet sich ab, dass ein grosser Teil dieser Schulden nicht für zusätzliche Investitionen, sondern konsumtiv genutzt wird. Damit wirkt die Fiskalpolitik Deutschlands inflationär. Auch die anderen grossen Euro-Staaten fahren weiterhin hohe Haushaltsdefizite. Dieses fiskalpolitische Vollgas ist ein starkes Argument gegen weitere Zinssenkungen durch die Geldpolitik.»

Michael Heise, Chefökonom von HQ Trust:

«Die seit langem enttäuschend niedrigen Wachstumszahlen des Euroraums sind für sich genommen kein Anlass, die Zinsen weiter zu senken. Die Wachstumsschwäche ist nicht in erster Linie ein konjunkturelles Problem, das durch die Geldpolitik zu beheben wäre. Sie ist vielmehr Ausdruck struktureller Probleme, die die Wettbewerbsfähigkeit und die Binnendynamik der Wirtschaft begrenzen. Dem Aufruf zu Reformen, der seit einiger Zeit auch von der EZB kommt, wird leider kaum entsprochen. Bei schwachem Wachstum und stabiler Inflation ist bei der EZB wohl auch mit einem ruhigen Jahresausklang zu rechnen. Die Zinsen dürften da bleiben, wo sie sind.»

Ulrich Kater, Chefökonom der Dekabank:

«Ob es noch zu einer weiteren Zinssenkung kommen wird, ist im Augenblick Kaffeesatzleserei. Dazu müsste es nochmals einen Konjunktureinbruch oder Anzeichen einer Kreditklemme geben. Beides ist derzeit nicht feststellbar. Insofern ist die Europäische Zentralbank auf einem gemütlichen Kurs Richtung Jahresende.»

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV):

«Die EZB verfolgt einen Wait-and-see-Ansatz und belässt die Leitzinsen konstant. Das scheint in der aktuellen Situation gerechtfertigt. Die Inflationsrate im Euroraum ist zwar im September leicht auf 2,2 Prozent gestiegen, doch liegt sie damit nur minimal über dem Ziel der Zentralbank. Inflationstreiber wie die noch immer hohe Teuerung bei Dienstleistungen halten sich ungefähr die Waage mit deflationären Kräften wie dem starken Euro-Wechselkurs. Daher erwarte ich in diesem Jahr keine weiteren Zinsänderungen. Spannend wird aber sein, wie viele Informationen die EZB zu ihrem weiteren Vorgehen im nächsten Jahr preisgibt.»

Silke Tobler, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung:

«Die Europäische Zentralbank hat erneut die Chance vertan, ihren Zinssenkungsspielraum zu nutzen. Die Inflation ist unter Kontrolle und dürfte im kommenden Jahr in Deutschland und im Euroraum unter dem EZB-Ziel von zwei Prozent liegen. Die Konjunktur aber bleibt schwach, insbesondere in Deutschland, der grössten Volkswirtschaft des Euroraums. Die Stagnation des deutschen Bruttoinlandsprodukts im dritten Quartal und die rückläufige Industrieproduktion sind Warnsignale. Zwar kann die EZB wenig gegen die hohen Energiepreise und US-Zölle ausrichten, es liegt aber in ihrer Macht, der starken Euro-Aufwertung entgegenzuwirken und die Binnennachfrage, insbesondere die Investitionen, zu stützen.» 

(Reuters)