Der Straffungskurs der Europäischen Zentralbank (EZB) wird aus Sicht ihres Chefvolkswirts Philip Lane seine Wirkung verzögert entfalten. "Ein Grossteil der endgültigen Inflationswirkung unserer bisherigen Massnahmen ist immer noch in der Pipeline", sagte Lane am Donnerstag auf einer Veranstaltung in London laut Redetext. Mit der Zeit werde die Geldpolitik dafür sorgen, dass die Inflation rechtzeitig zur Zielmarke der Notenbank zurückkehre. Sein EZB-Direktoriumskollege Fabio Panetta sprach sich unterdessen mit Blick auf die zuletzt rückläufigen Inflationszahlen und die bereits erfolgten Straffungsschritte für kleine Zinserhöhungen der Notenbank aus.

Die EZB strebt zwei Prozent Teuerung als Optimalwert für die Wirtschaft an. Davon ist sie aber noch weit entfernt. Im Januar lag die Inflation in der 20-Länder-Gemeinschaft bei 8,5 Prozent. Die EZB hat bereits seit Juli 2022 fünf Mal in Folge die Zinsen angehoben - zuletzt im Februar um kräftige 0,50 Prozentpunkte. Für die nächste Zinssitzung im März hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde eine weitere Erhöhung um ebenfalls einen halben Prozentpunkt in Aussicht gestellt.

"Unsere Modelle deuten darauf hin, dass die von uns im Dezember 2021 eingeleitete deutliche Straffung der Geldpolitik bisher erhebliche Auswirkungen auf die Finanzierungsbedingungen im Euro-Raum gehabt hat", sagte Lane. Auch die Auswirkungen auf die Wirtschaftstätigkeit und die Inflation zeigten sich allmählich. "Die Inflation wird als Resultat der Straffung 2023 um schätzungsweise 1,2 Prozentpunkte und 2024 um 1,8 Prozentpunkte niedriger ausfallen", sagte er.

EZB gelangt langsam in den restriktiveren Bereich

Lane wies jedoch auch auf Unsicherheiten hin, wie die Geldpolitik letztendlich in der Wirtschaft ankommt. Daher müsse die Notenbank aufgeschlossen sein hinsichtlich des genauen Ausmasses der geldpolitischen Straffung, um ihr Ziel zu erreichen. Aus Sicht von Panetta, der wie Lane im sechsköpfigen Führungsgremium der EZB sitzt, bewegen sich die Zinsen inzwischen in den sogenannten restriktiven Bereich hinein, bei dem eine Volkswirtschaft gebremst wird. Es komme daher jetzt sowohl auf das Ausmass als auch auf die Dauer der Straffung an, wie der EZB-Direktor in London auf einer Veranstaltung sagte. Mit kleinen Zinsschritten könne die EZB ihren Kurs genauer kalibrieren.

Sich mit kleinen Zinsschritten zu bewegen bedeute nicht, weniger voranzuschreiten, sagte Panetta. "Das bedeutet nicht, dass wir nicht resolut sein werden im Kampf gegen die Inflation." Die EZB müsse inzwischen neben dem Risiko, zu wenig zu unternehmen, auch das Risiko in den Blick nehmen, dass sie zu stark straffe. Andere EZB-Währungshüter wie etwa der niederländische Notenbankchef Klaas Knot hatten dagegen zuletzt für weitere kräftige Zinserhöhungen argumentiert. Panetta schätzt, dass die Inflation zum Ende dieses Jahres hin noch auf unter drei Prozent sinken könnte, sofern der Energiepreisschub in den nächsten Monaten weiter nachlässt. Panettas Prognose ist deutlich optimistischer als die der EZB-Volkswirte. Diese hatten im Dezember in ihren Projektionen für das vierte Quartal 2023 noch eine Teuerungsrate von 3,6 Prozent vorausgesagt.

(Reuters)