Die Zinserhöhung um 50 Basispunkte am Donnerstag und jede weitere Anhebung der Kreditkosten bringt die Währungshüter im Kampf gegen die galoppierende Inflation voran. Mit der Straffung droht aber auch eine Zuspitzung der Konjunkturprobleme. Dadurch steigen die potenziellen Kosten eines geldpolitischen Fehlschritts mit jeder Entscheidung.

Die Inflation ist noch immer zweistellig und die Notenbanker gehen davon aus, dass sie auch in den kommenden Jahren deutlich über ihrem Ziel von 2 Prozent bleiben wird. Die Ratssitzung vom Donnerstag markierte den Auftakt zur nächsten Etappe der geldpolitischen Straffung.

Der Zinsschritt war zwar kleiner als die vorangegangenen Anhebungen um 75 Basispunkte. EZB-Präsidentin Christine Lagarde warnte die Anleger jedoch, daraus voreilige Schlüsse zu ziehen. Weitere Zinsschritte um einen halben Prozentpunkt seien zu erwarten, auch wenn ein "milder" Konjunktureinbruch wohl bereits eingetreten sei.

"Dies ist eine sehr harte Botschaft, und die Schlussfolgerung muss wohl sein, dass aus den zwei Quartalen milder Rezession, die von der EZB prognostiziert werden, eine ausgewachsene Rezession werden muss", erklärte der ehemalige Chefökonom der Zentralbank, Peter Praet, im Interview mit Bloomberg TV. "Was hier zur Debatte steht, ist die Möglichkeit eines geldpolitischen Fehlers. Die EZB unterschätzt die Konjunkturschwäche."

Kompromiss notwendig

Für das Bruttoinlandsprodukt des Euroraums erwartet die EZB im nächsten Jahr ein mickriges Wachstum von 0,5 Prozent. Der dann einsetzende Aufschwung wird den Prognosen zufolge unter 2 Prozent bleiben.

Die Diskussion innerhalb der EZB konzentrierte sich auf die Frage, ob eine weitere deutliche Anhebung um 75 Basispunkte erfolgen sollte. Der Widerstand der Falken im Rat wurde erst durch einen Kompromiss überwunden, der darauf abzielte, künftige Erhöhungen anzukündigen und sich auf einen raschen Beginn des Bilanzabbaus zu einigen, wie mit der Angelegenheit vertraute Personen berichten.

"Wir reden jetzt über ein Zinsniveau, das wahrscheinlich bei 3,5 Prozent enden wird", sagte Thomas Gitzel, Ökonom bei der VP Bank im liechtensteinischen Vaduz. "Ja, es wird noch mehr kommen, aber damit werden wir leben können. Ich glaube nicht, dass die EZB einen Fehler macht — im Gegenteil, sie handelt zum ersten Mal angemessen."

Carsten Brzeski, Global Head of Macro bei ING, ist da vorsichtiger. Bemerkenswert sei, dass die Eurozone derzeit durch die steigenden Energiekosten und angespannten Lieferketten am stärksten betroffen sei — und zugleich die EZB am entschlossensten, ihre Politik restriktiv zu gestalten.

Widersprüchliche Situation

Diese widersprüchliche Situation könnte im nächsten Jahr zu grösseren Meinungsverschiedenheiten zwischen den EZB-Ratsmitgliedern führen und Lagardes Aufgabe erschweren, einen Konsens zu erzielen.

Im Hintergrund stehen auch die in den kommenden Jahren erforderlichen Investitionen von Billionen Euro für die Energiewende. Diese Ausgaben könnten gefährdet sein, wenn die Zinsen auf ein Niveau steigen, das sich Regierungen, Unternehmen und Haushalte nicht leisten können.

Eine Folge könnte sein, dass die Inflation in der Eurozone länger anhält, weil die für eine wirksame Verringerung des Preisdrucks erforderliche Infrastruktur nicht gebaut wird, was die Wettbewerbsfähigkeit untergräbt und die private Nachfrage dämpft.

(Bloomberg)