"Heute ist die Inflation zu hoch und dürfte es noch zu lange bleiben. Wir sind entschlossen, sie zeitnah auf unser mittelfristiges Ziel von zwei Prozent zurückzuführen", sagte die Französin am Donnerstag auf dem Sparkassentag in Hannover. Daran gebe es keinen Zweifel. Die EZB wisse, dass trotz der "starken und raschen Zinserhöhungen" noch eine erhebliche Straffung der Geldpolitik anstehe: "Daher müssen wir unseren Erhöhungszyklus fortsetzen, bis wir genug Zuversicht haben, dass sich die Inflation auf einem guten Weg befindet, zeitnah auf unseren Zielwert zurückzukehren."

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat seit der Zinswende im Juli 2022 die Schlüsselzinsen bereits sieben Mal in Folge angehoben. Mehrere Währungshüter hatten unlängst zwei weitere Schritte nach oben um je 0,25 Prozentpunkte im Juni und im Juli für wahrscheinlich gehalten. Damit würde der am Finanzmarkt wichtige Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder erhalten, im Juli auf 3,75 Prozent steigen. Aktuell liegt er bei 3,25 Prozent. Die nächste Zinssitzung ist am 15. Juni angesetzt.

Die Inflation im Euro-Raum hat im Mai zwar spürbar nachgelassen, liegt mit 6,1 Prozent aber noch deutlich über der von der EZB angestrebten Stabilitätsmarke von 2,0 Prozent. Und die Kernrate, in der die schwankungsreichen Energie- und Lebensmittelpreise sowie Alkohol und Tabak ausgeklammert sind, ging im Mai auf 5,3 Prozent zurück nach 5,6 Prozent im April. Laut Lagarde gibt es jedoch keinen eindeutigen Beleg dafür, dass diese sogenannte zugrundeliegende Inflation ihren Höchststand erreicht hat: "Bis heute sind alle von der EZB beobachteten Messgrössen nach wie vor hoch. Ob dies weiterhin so bleibt, hängt in erster Linie vom Gleichgewicht zwischen zwei Kräften ab: Energiepreisen und Löhnen."

Mit Blick auf den Zinskurs der EZB fügte Lagarde hinzu: "Stellen Sie sich ein Flugzeug vor, das auf Reiseflughöhe steigt. Jetzt nähern wir uns unserer Reiseflughöhe – und das bedeutet, dass wir langsamer steigen müssen und dabei die Geschwindigkeit nutzen, die wir bereits hinter uns aufgebaut haben." Die EZB hatte im Mai das Zinserhöhungstempo deutlich gedrosselt auf 0,25 Prozentpunkte. Im März, Februar und Dezember hatte sie die Schlüsselsätze um jeweis 0,50 Prozentpunkte angehoben.

Mai-Zinsbeschluss war Kompromiss

Aus den am Donnerstag veröffentlichten Protokollen des Mai-Zinstreffens geht hervor, dass der Zinsbeschluss auf einem Kompromisses unter den Währungshütern fusste: Zwar ein kleinerer Schritt nach oben um einen viertel Prozentpunkt, dafür aber zugleich auch das Signal, dass noch eine Wegstrecke zu gehen ist. "Vor diesem Hintergrund unterstützten fast alle Mitglieder die Zinsanhebung um 25 Basispunkte", hiess es im Protokoll. Lagarde hatte damals auf der Pressekonferenz zum Ausdruck gebracht, dass die Notenbank noch eine Wegstrecke zu gehen habe.

Nach Einschätzung von Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau sind die jetzt noch bevorstehenden Zinsanhebungen eher geringfügig, da die EZB den grössten Teil der Arbeit bereits geschafft habe. "Die Zinserhöhungen, die wir noch vornehmen müssen, sind relativ marginal, die meiste Arbeit ist getan", sagte Villeroy auf einer Veranstaltung der Toulouse School of Economics und verschiedener Medienhäuser. Auch aus Sicht von Lagardes Stellvertreter Luis de Guindos ist die EZB schon weit vorangekommen: "Ein grosser Teil der Reise ist geschafft, aber es gibt immer noch das letzte Stück", sagte de Guindos dem spanischen Radiosender RNE.

(Reuters)