"Wir sind nicht gleich, und wir können auch nicht im gleichen Tempo und unter der gleichen Diagnose unserer Volkswirtschaften vorankommen", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag auf einer Konferenz in Lettlands Hauptstadt Riga. "Wir befinden uns nicht in der gleichen Situation." So unterscheide sich die Lage vor allem auf dem Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten stark von dem in der Eurozone.

Zugleich bestehe über die Finanzmärkte aber eine grosse gegenseitige Abhängigkeit. "Wir müssen aufeinander achten, und wir müssen aufmerksam gegenüber potenziellen Übertragungseffekten und Rückwirkungen sein", sagte Lagarde. Die US-Notenbank Fed hatte im Kampf gegen die hohen Verbraucherpreise ihren Leitzins zuvor am Mittwoch zum vierten Mal in Folge um 0,75 Punkte erhöhte. Damit liegt er nun in der Spanne von 3,75 bis 4,00 Prozent. Es ist die sechste Zinserhöhung in diesem Jahr.

"Wir werden auch von den Folgen beeinflusst, insbesondere über die Finanzmärkte, in geringerem Masse auch über den Handel, da der Wechselkurs natürlich eine Rolle spielt und berücksichtigt werden muss und in unseren Inflationsprognosen berücksichtigt werden muss", sagte Lagarde über die Entscheidung der Fed. Die EZB-Präsidentin besuchte in Riga eine Konferenz der lettischen Zentralbank anlässlich von deren 100-jährigen Gründungsjubiläum

Nach Einschätzung von Lagarde sei eine "milde Rezession" in der Eurozone möglich. Diese werde aber nicht ausreichen, um die steigenden Preise einzudämmen. "Wir glauben nicht, dass diese Rezession in der Lage sein würde, die Inflation zu zähmen."

Im Oktober erreichte die Inflationsrate in der Eurozone einen Rekordwert von 10,7 Prozent. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an. Die EZB versucht, mit kräftigen Zinserhöhungen die Teuerung in den Griff zu bekommen und hat den Leitzins zuletzt um 0,75 Prozentpunkte auf 2,0 Prozent angehoben.

Laut Lagarde ist ein Schrumpfen der Wirtschaft in der Eurozone möglich, aber nach wie vor nicht das "Basisszenario" der EZB. Der lettische Notenbankpräsident und EZB-Ratsmitglied Martins Kazaks erwartet hingegen ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung in den kommenden Monaten. EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta warnte darüber hinaus vor den wirtschaftlichen Risiken durch rasche Zinserhöhungen.

(AWP)