Viele Experten gehen davon aus, dass die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde nicht nur am Donnerstag auf ihrer auswärtigen Sitzung in Florenz die Füsse stillhalten und den Schlüsselsatz bei 2,0 Prozent belassen werden. Vielmehr zeichnet sich eine längere Phase stabiler Zinsen ab, wie das Team von Deutsche Bank Research um den Chefvolkswirt Deutschland, Robin Winkler, prognostiziert: «Der Zinssenkungszyklus ist beendet. Wir erwarten auf absehbare Zeit keine weiteren Absenkungen.»
Bundesbankchef Joachim Nagel hatte jüngst signalisiert, dass er geldpolitisch «gegenwärtig keinen Handlungsbedarf» sehe. Sein österreichischer EZB-Ratskollege Martin Kocher stiess zuletzt ins gleiche Horn. Für den Fall einer krisenhaften Zuspitzung in der Euro-Zone und der Weltwirtschaft sei es wichtig, «genug Pulver trocken zu halten».
Die Inflationsrate in der Euro-Zone war im September zwar mit 2,2 Prozent erstmals seit April wieder über die EZB-Zielmarke von 2,0 Prozent gestiegen. EZB-Chefin Lagarde erwartet allerdings eine längere Phase annähernder Preisstabilität im Euroraum, also Inflationsraten nahe dem Ziel der Zentralbank. Viele Anleger gehen davon aus, dass die EZB nach zwei Zinspausen in Folge vorerst weiter abwarten wird. Die EZB hatte von Juni 2024 bis Juni 2025 im Zuge einer nachlassenden Inflation die Zinsen insgesamt achtmal gesenkt.
Nach Ansicht von Silke Tober, Geldpolitik-Expertin des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), sollte damit noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein. «Im kommenden Jahr dürfte die Inflation in Deutschland und im Euroraum sogar unter die Zwei-Prozent-Marke fallen. Zugleich belasten aber die hohen Energiepreise, die starke Aufwertung des Euro und die US-Zölle die Wirtschaft», erläutert die Expertin. Bis die staatlichen Investitionen in Deutschland an Breite gewännen, werde auch die Unsicherheit hoch bleiben: «Daher sollte die EZB die Zinsen erneut senken und damit einen Beitrag zur Stärkung der Investitionstätigkeit insgesamt leisten.»
Die EZB lässt sich einstweilen nicht in die Karten schauen, wie es geldpolitisch weitergeht. Wie ein Mantra wird das Bekenntnis wiederholt, dass der EZB-Rat sich nicht vorab auf einen Kurs festlege und Entscheidungen im Licht hereinkommender Daten treffe.
«So weit, so gut. Dennoch stellt sich uns die Frage, ob sich diese Positionierung dauerhaft aufrechterhalten lässt», gibt DWS-Volkswirtin Ulrike Kastens zu bedenken. Zwar habe sich die Konjunktur im ersten Halbjahr als widerstandsfähig erwiesen, in der zweiten Jahreshälfte dürfte sie laut der Expertin aber nur stagnieren, zumal eine Trendumkehr im Verarbeitenden Gewerbe noch in weiter Ferne liege: «Auch die politische Entwicklung in Frankreich stellt nach wie vor ein Risiko für die Konjunktur dar. Darüber hinaus könnte der Rückgang der Ölpreise zu einem stärkeren Unterschreiten des Inflationsziels führen.»
All diese Themen dürften am Donnerstag in Florenz diskutiert werden. Wie sich die EZB aber weiter positionieren will, hängt Kastens zufolge auch von den neuen Projektionen zu Wachstum und Inflation ab, die im Dezember veröffentlicht werden. Erstmals wird dann auch das Jahr 2028 miteinbezogen: «Vor dem Hintergrund der oben genannten Punkte sehen wir nach wie vor die Chance, dass der Zinssenkungszyklus der EZB noch nicht am Ende ist», resümiert die Volkswirtin.
(Reuters)
