"Möglicherweise müssen wir nach der Sommerpause die Zinsen weiter anheben", erklärte Nagel auf einer Veranstaltung in Amsterdam. "So wie ich das sehe haben wir immer noch eine Wegstrecke zu gehen." Die Europäische Zentralbank hatte am Donnerstag die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte erhöht. Der an den Finanzmärkten richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt damit künftig bei 3,50 Prozent - das höchste Niveau seit 22 Jahren. Für den Juli stellte EZB-Präsidentin Christine Lagarde schon die nächste Anhebung in Aussicht.

Die Inflation ist trotz einer Serie von Zinserhöhungen der EZB noch immer nicht eingedämmt. Die Verbraucherpreise stiegen im Euroraum im Mai binnen Jahresfrist um 6,1 Prozent. Noch im April hatte die Teuerungsrate geringfügig auf 7,0 Prozent zugelegt - nach 6,9 Prozent im März. Die Kernrate, in der die schwankungsanfälligen Energie- und Lebensmittelpreise sowie Alkohol und Tabak aussen vor bleiben, sank im Mai nur leicht auf 5,3 nach 5,6 Prozent im April.

Auch aus Sicht von Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann kann sich die EZB im Kampf gegen die Inflation noch nicht zurücklehnen. "Wenn die Dinge so weiter gehen wie bisher – das heisst, die Kerninflation weiter hartnäckig bleibt – dann folgt ja schon die klare Schlussfolgerung: Dann wird wahrscheinlich nachgebessert werden müssen", sagte das EZB-Ratsmitglied am Freitag auf einer Veranstaltung in Wien. Die Kernrate gilt als guter Indikator für die zugrundeliegenden Inflationstrends und wird daher von den Euro-Wächtern genau beobachtet.

Aus Sicht von Litauens Notenbankchef Gediminas Simkus muss der Straffungskurs ebenfalls fortgesetzt werden. Allerdings nähere sich die EZB dem Zinsgipfel. Es sei aber zu früh, um sich festzulegen, auf welchem Niveau sich die Zinsen im Herbst befinden würden, sagte er zu Journalisten. "Die Inflation war zu lange zu hoch", merkte er an. "Mittelfristig wird die Inflation nicht auf ein angemessenes Niveau zurückkehren". Die jüngsten Wirtschaftsprognosen der EZB-Volkswirte sehen für 2025 immer noch eine Teuerungsrate von 2,2 Prozent vor. Lagarde hatte dies am Donnerstag nach dem Zinsbeschluss als nicht zufriedenstellend bezeichnet. Markspekulationen darauf, dass die EZB die Zinsen bereits Anfang 2024 wieder senken werde, wies Simkus zurück. Ein solch schneller Kurswechsel wäre verwirrend, sagte er.

IWF gibt EZB Rückendeckung, Villeroy bremst Spekulationen

Sein baltischer EZB-Ratskollege, Estlands Notenbankchef Madis Müller, blies ins gleiche Horn. Die Arbeit sei noch nicht erledigt, erklärte er in einer Mitteilung. "Die Zinssätze in der Eurozone haben ihren Höhepunkt noch nicht erreicht", führte er aus. "Das wichtigste Ziel für die Zentralbank ist klar: Wir müssen den Preisanstieg rasch in den Griff bekommen." Finnlands Notenbankchef Olli Rehn bekräftigte die generelle Linie der EZB. Die Zinsen hätten noch nicht den Höhepunkt erreicht, künftige Schritte hingen aber vom Ausblick ab.

Unterstützung für ihren Zinserhöhungskurs erhielt die EZB am Freitag vom Internationalen Währungsfonds (IWF). "Die Geldpolitik muss weiter gestrafft werden, um die Inflation rechtzeitig auf das Zielniveau zu bringen", erklärte der IWF in einem Bericht, der den Finanzministern der Euro-Zone sowie der EZB vorgelegt wurde.

Gleichzeitig sollten die Regierungen im Euroraum ihre Haushaltsdefizite senken, um fiskalischen Spielraum für die Zukunft zu schaffen. Der IWF begrüsste zudem die Entscheidung der EZB, allmählich ihre durch jahrelange Anleihenkäufe angeschwollene Notenbankbilanz zu reduzieren.

Demgegenüber warnt Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau vor voreiligen Schlüssen über die nächsten Zinsschritte der Europäischen Zentralbank. Die an den Finanzmärkten grassierenden Spekulationen darüber, wo der Zinsgipfel der EZB liegen werde, seien übertrieben, sagte Villeroy am Freitag auf einer Konferenz in Paris. "Unsere künftigen Entscheidungen werden von den Daten abhängen, Sitzung für Sitzung", sagte das EZB-Ratsmitglied. "Daher sollte niemand voreilige Schlüsse über unseren Zeitplan oder unseren Leitzins ziehen", sagte er.

(Reuters)