Währungshüter müssen aus Sicht von EZB-Präsidentin Christine Lagarde in der von Unsicherheiten geprägten aktuellen Lage an einer hinreichend straffen Geldpolitik festhalten. Sie müssten dabei klar in den Zielen, flexibel in der Analyse und bescheiden in der Kommunikation bleiben, sagte Lagarde am Freitag in einer mit Spannung erwarteten Rede auf dem Notenbank-Symposium in Jackson Hole. «Im gegenwärtigen Umfeld bedeutet dies für die EZB, die Zinssätze so lange auf ein ausreichend restriktives Niveau festzulegen, wie es notwendig ist, um eine rechtzeitige Rückkehr der Inflation zu unserem mittelfristigen Ziel von zwei Prozent zu erreichen», führte sie aus. Was dies für die anstehende Zinssitzung im September bedeutet, liess die EZB-Chefin allerdings offen.

In ihrem Kampf gegen die Inflation haben die Euro-Wächter seit Sommer 2022 bereits neun Mal in Folge die Zinsen angehoben - zuletzt im Juli um einen viertel Prozentpunkt. Der am Finanzmarkt massgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank bekommen, liegt inzwischen bei 3,75 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit Oktober 2000. Laut mehreren mit den Diskussionen vertrauten Insidern steigt inzwischen die Wahrscheinlichkeit einer EZB-Zinspause im September. Die Debatte sei aber noch nicht abgeschlossen, hiess es dabei.

«Geldpolitische Entscheidungen in Zeiten des Wandels und der Brüche erfordern Aufgeschlossenheit und die Bereitschaft, unsere Analyserahmen in Echtzeit an neue Entwicklungen anzupassen», sagte Lagarde. Es sei umso wichtiger für Notenbanken, einen Anker für die Wirtschaft bereitzustellen und Preisstabilität zu sichern. Die EZB strebt mittelfristig zwei Prozent Inflation als Optimalwert für die Eurozone an. Zwar ist die Inflation inzwischen wieder gesunken und liegt weit entfernt von den Höchstständen des vergangenen Jahres. Mit 5,3 Prozent im Juli lag sie zuletzt aber immer noch mehr als doppelt so hoch wie die Zielmarke der EZB.

Lagarde zufolge ist der Kampf gegen die Inflation noch nicht gewonnen. Der Rückgang der Inflation in der Eurozone müsse zeitnah und nachhaltig sein, bevor die Euro-Wächter schliessen könnten, dass sie erfolgreich gewesen seien, sagte sie. Das Inflationsziel von zwei Prozent zu ändern, lehnte Lagarde ab. Die Preiszuwächse würden sich in diesem Jahr weiter abschwächen und die Inflation werde am Jahresende dann ganz anders aussehen.

Weltwirtschaft hat sich verändert

Die EZB-Präsidentin wies in ihrer Rede darauf hin, dass Veränderungen in der Funktionsweise der Weltwirtschaft - von den Arbeitsmärkten, über einen zunehmenden Protektionismus bis hin zur Energiewende - das Risiko bergen, grössere Schwankungen bei der Inflation zu erzeugen. Dies könne sich wiederum in einem anhaltenden Preisdruck niederschlagen. Ein Grossteil der Industrieländer hatte in den vergangenen zwei Jahren mit einem massiven Inflationsschub zu kämpfen. Der Inflationsdruck hat sich dabei als weitaus hartnäckiger erwiesen als von Experten vorhergesagt worden war. Lagarde zufolge sind mit diesem neuen Umfeld die Voraussetzungen für grössere relative Preisschocks als vor der Corona-Pandemie gegeben.

«Ob sich all diese verschiedenen Veränderungen als dauerhaft erweisen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar», sagte Lagarde. «Aber es ist schon jetzt klar, dass ihre Auswirkungen in vielen Fällen nachhaltiger sind, als wir ursprünglich erwartet haben,» merkte sie an. Unter anderem haben die Währungshüter dabei das Lohnwachstum im Blick. «Wir werden die Lohnentwicklung sehr, sehr aufmerksam verfolgen, denn einer der stärksten Bereiche der Wirtschaft, in dem die Preise steigen, sind die Dienstleistungen, und Dienstleistungen sind arbeitsintensiv», sagte sie dem Sender Bloomberg TV

Am Rande des Symposiums hatten sich bereits einige EZB-Währungshüter in Fernseh-Interviews geäussert. Bundesbankpräsident Joachim Nagel wies im Gespräch mit Bloomberg TV darauf hin, dass die Lage insgesamt für die EZB sehr herausfordernd sei. Die Wirtschaftsaktivität verlangsame sich, was nach neun Zinserhöhungen aber auch keine Überraschung sei. Zum weiteren EZB-Zinspfad sagte er: «Für mich ist es viel zu früh, um über eine Zinspause nachzudenken.» Es müssten die nächsten Daten abgewartet werden.

Portugals Notenbankchef Mario Centeno sagte zu Bloomberg TV, dass sich die EZB derzeit auf die Wirtschaftsdaten fokussiere. In diesen spiegelten sich bereits die vorangegangenen Zinserhöhungen wider. Mit Blick auf die sich weiter eintrübende Konjunktur im Euroraum merkte er an: «Wir müssen zu diesem Zeitpunkt vorsichtig sein, weil sich die Abwärtsrisken, die wir im Juni in unseren Prognosen identifiziert haben, Realität geworden sind.» Die nächste Zinssitzung der Euro-Wächter findet am 14. September in Frankfurt statt.

(Reuters)