Die Weinsammler-App CellarTracker hatte sich eine auf den ersten Blick recht einfache Aufgabe gestellt. Das US-Startup wollte auf Basis von OpenAIs ChatGPT einen KI-Sommelier entwickeln, der Nutzern auf Basis ihrer persönlichen Präferenzen Empfehlungen gibt. Dabei stiess die Firma auf ein unerwartetes Problem: «Er ist einfach sehr höflich, anstatt einfach zu sagen: 'Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Ihnen der Wein schmeckt'», sagt CellarTracker-Chef Eric LeVine. Erst nach sechs Wochen Arbeit an ihren Eingabeaufforderungen hätten sie «Kollege KI» dazu gebracht, ehrliche Empfehlungen abzugeben.
Ähnlich ernüchternd sind die Erfahrungen anderer Unternehmen seit Veröffentlichung von ChatGPT vor rund drei Jahren. Die grossen Hoffnungen auf Effizienzsteigerungen und zusätzliche Gewinne haben sich bislang kaum erfüllt. Einer Erhebung der Beratungsfirma Forrester zufolge konnten nur 15 Prozent der mehr als 1500 befragten Firmen ihre Margen dank Künstlicher Intelligenz (KI) verbessern. In einer Studie der Beratungsfirma BCG sahen lediglich fünf Prozent der Unternehmen grösseren Nutzen durch den Einsatz dieser Technologie.
Manager betrachteten KI zwar weiterhin als zukunftsweisend und unverzichtbar. Ihre umfassende Einführung werde jedoch länger dauern als bislang gedacht. Forrester zufolge werden Unternehmen 2026 wohl ein Viertel ihrer geplanten KI-Investitionen aufschieben. «Die Firmen, die diese Technologie entwickelt haben, haben die Geschichte verbreitet, dass sich alles schnell ändern wird», sagte Forrester-Analyst Brian Hopkins. «Aber wir Menschen ändern uns nicht so schnell.»
Comeback der «Natürlichen Intelligenz»
Aus diesem Grund haben einige Unternehmen ihre KI-Pläne inzwischen zurechtgestutzt. So setzt der schwedische Zahlungsdienstleister Klarna im Kundendienst wieder stärker auf den Faktor Mensch. Firmenchef Sebastian Siemiathowski räumt ein, dass einige Kunden lieber mit menschlichen Sachbearbeitern kommunizieren. «Wenn Sie kundenorientiert bleiben wollen, können Sie sich nicht vollständig auf KI verlassen.»
Auch der US-Mobilfunker Verizon setzt KI wieder eher bei einfachen Anfragen und zur Weiterleitung an die richtigen menschlichen Ansprechpartner ein. «Empathie ist wahrscheinlich der entscheidende Faktor, der uns derzeit davon abhält, KI-Agenten ganzheitlich mit Kunden kommunizieren zu lassen», sagt Ivan Berg, der bei Verizon die KI-Projekte verantwortet.
Generative KI wie ChatGPT könne im Kundendienst zwischen 50 und 80 Prozent der Anfragen bearbeiten, sagt Shashi Upadhyay, Produktchef von Zendesk. Seine Firma bietet Software Kundendienst-Abteilungen an. Die Vorstellung, dass Generative KI alles erledigen kann, sei aber übertrieben, betont Upadhyay.
Technische Hürden: Anbiederung und zerklüftete Grenzen
Darüber hinaus hat KI mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen. Eine davon ist «Sycophancy», zu Deutsch «Speichelleckertum» oder «Schleimerei». Sie bezeichnet die Tendenz einer KI zur Anbiederung, um die Konversation möglichst lange fortzusetzen. Dabei kann die Qualität der Antwort auf der Strecke bleiben. Mit diesem Problem hatte CellarTracker zu kämpfen. Das Startup musste der KI explizit erlauben, «Nein» sagen zu dürfen.
Der Bahnindustrie-Dienstleister Cando stolperte über eine andere Hürde. Seine KI konnte das etwa hundertseitige Handbuch mit den kanadischen Vorschriften für den Eisenbahnbetrieb nicht korrekt zusammenfassen. Manchmal vergass sie Regelungen oder interpretierte diese falsch. Einige Vorschriften erfand sie komplett. Letzteres heisst im Fachjargon Halluzination. Daher legte Cando das Projekt nach mehreren Hunderttausend Dollar an Entwicklungskosten auf Eis. «Wir dachten alle, es wäre ein Kinderspiel», sagt Cando-Geschäftsführer Jeremy Nielsen. «Das war nicht der Fall.»
Da der KI ein grundsätzliches Verständnis der Welt fehlt, scheitert sie gelegentlich an trivialen Aufgaben. «Sie ist vielleicht ein Ferrari in Mathematik, aber ein Esel bei Kalendereinträgen», sagt Anastasios Angelopoulos, Mitgründer und Chef von LMArena. Das Startup entwickelt Testprogramme für die Leistungsfähigkeit von KI. Experten nennen diese Beschränkungen der Technologie «Jagged Frontier» (Zerklüftete Grenze).
Um diesen Problemen Herr zu werden, stocken KI-Entwickler wie OpenAI oder Anthropic ihre Teams auf, die Unternehmen bei der Einführung dieser Technologie an die Hand nehmen. Viele wollten zu schnell zu viel, sagt OpenAI-Managerin Ashley Kramer. OpenAI versuche daher, gemeinsam mit den Kunden Einsatzgebiete zu ermitteln, die die Arbeitsabläufe deutlich beschleunigten, auch wenn sie zunächst relativ geringe Einsparungen brächten.
(Reuters)
