Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf ihrer ersten Zinssitzung nach der Sommerpause wie schon im Juli stillgehalten. Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde legten am Donnerstag erneut eine Zinspause ein. Damit beträgt der Einlagesatz - der Leitzins im Euroraum - weiter 2,0 Prozent. Diesen Satz erhalten Finanzinstitute, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken. Über ihn steuert die EZB massgeblich ihre Geldpolitik. Volkswirte hatten mit dieser Entscheidung gerechnet.
Finanzexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:
Lena Dräger, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IFW):
«Mehrere Mitglieder des EZB-Rats haben zuletzt betont, dass das aktuelle Zinsniveau bereits leicht unterstützend auf die Konjunktur wirkt. Angesichts einer insgesamt robusten Binnennachfrage und stabiler Arbeitsmärkte, scheint eine weitere Zinssenkung aktuell nicht nötig zu sein. Gleichzeitig besteht weiter Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung der Inflation, da handelspolitische Spannungen oder eine stagnierende Wirtschaft in der Euro-Zone die Inflation erhöhen oder senken könnten.
Für die kommenden Monate zeichnet sich damit eine Zinspause ab. Mit dieser Entscheidung bewahrt sich die EZB die notwendige Flexibilität, um auf künftige Entwicklungen in beide Richtungen reagieren zu können. Sollte sich die Inflation überraschend beschleunigen oder die wirtschaftliche Erholung stärker ausfallen als erwartet, wäre eine Zinsanhebung ab 2026 denkbar. Im Falle neuer konjunktureller Belastungen wären jedoch auch weitere Lockerungen des geldpolitischen Kurses möglich.
Ein zusätzlicher Unsicherheitsfaktor sind die Versuche der Trump-Regierung, die Unabhängigkeit der US-Notenbank Fed zu untergraben. Sollten diese erfolgreich sein und die Inflation in den USA in Folge wieder deutlich steigen, hätte dies womöglich weitreichende Konsequenzen für internationale Finanzmärkte und den Dollarwechselkurs, und damit auch für die Geldpolitik der EZB. Auch deshalb sollte sich die EZB aktuell den grösstmöglichen geldpolitischen Spielraum bewahren.»
Cyrus de la Rubia, Chefökonom Hamburger Commercial Bank:
«Die EZB hat wie erwartet die Zinsen gleich gelassen. Offensichtlich ist sie der Meinung, dass das neutrale Zinsniveau – also das Zinsniveau, das die Wirtschaft weder bremst noch stimuliert – erreicht ist, weswegen Lagarde immer wieder betont, dass man gut positioniert sei. Dabei könnte die Eurowirtschaft etwas Stimulus durchaus gebrauchen, denn rund läuft es derzeit nicht. Man sieht zwar, dass die Industrieproduktion allmählich wieder Lebenszeichen von sich gibt, aber das Wachstum bleibt insgesamt sehr fragil. Angesichts des relativ starken Euro, der die Importe verbilligt, und des für die Euro-Zone disinflationären Effektes der US-Zölle wäre das Risiko, dass die Inflation in Reaktion auf eine Zinssenkung kurzfristig wieder deutlich steigt, überschaubar. Sollte sich das Wachstum wieder abschwächen und die Inflation im Zielbereich bleiben, rechnen wir mit einer Zinssenkung im Dezember dieses Jahres.»
Andreas Bley, Chefökonom des Bundesverbandes deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR):
«In der geldpolitischen Partitur steht erst einmal eine Pause – ob der Schlussakkord folgt, bleibt noch offen. Mit der Entscheidung, den Einlagesatz bei 2,0 Prozent zu belassen, setzt der EZB-Rat seine abwartende Linie fort. Die Inflation ist zwar auf Zielniveau, doch insbesondere bei Nahrungsmitteln und Dienstleistungen bleibt der Preisauftrieb erhöht – und dürfte aktuell über den bisherigen Projektionen liegen. Die Geldpolitik befindet sich aktuell im neutralen Bereich. Ob es zum Jahresende noch zu einem weiteren und wohl abschliessenden Lockerungsschritt kommt, bleibt offen. Entscheidend wird sein, wie die EZB-Ratsmitglieder die Inflationsaussichten im weiteren Jahresverlauf bewerten – etwa im Hinblick auf sinkende Energiepreise, einen stärkeren Euro und das neue Zollabkommen, dessen Nettoeffekte auf die Inflation derzeit noch nicht klar einzuschätzen sind. Die politische Instabilität in Frankreich verstärkt zwar die erhöhte Unsicherheit im Euroraum, dürfte aber den geldpolitischen Kurs der EZB nicht massgeblich beeinflussen.»
Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft:
«Die Entscheidung der EZB, die Leitzinsen unverändert zu belassen, ist folgerichtig. Angesichts einer zuletzt moderat gestiegenen Inflation im Euroraum und einer erwarteten langsamen Konjunkturerholung spricht vieles für eine abwartende Haltung. Auch die Effekte von Fiskalimpulsen und Handelsverschiebungen sind noch nicht vollständig abzuschätzen. Der starke Euro hilft, importierte Inflation insbesondere bei volatilen Energie-Rohstoffen im Zaum zu halten. In dieser Lage rechne ich daher bis zum Ende des Jahres mit keinen weiteren Zinssenkungen.»
(Reuters)