Im tiefsten Winter kann Finnland ein trostloser Ort sein. Die Temperaturen sinken oft unter -20 °C, und in den dunkelsten Monaten des Jahres gibt es in Helsinki weniger als sechs Stunden Licht am Tag.

Um den Elementen zu trotzen, hat Finnland die energieintensivste Wirtschaft in der EU aufgebaut. Doch mit dem nahenden Winter macht sich das Land auf Lastabwürfe gefasst, die als Reaktion auf die russischen Energiedrosselungen geplant sind.

Obwohl die russische Energie nur einen kleinen Teil der finnischen Gesamtversorgung ausmacht, könnte ihr Wegfall enorme Auswirkungen haben, und die Finnen sind gezwungen, zwischen schlechten Optionen zu wählen.

«Menschen könnten sterben»

Würden die geplanten rollierenden Stromabschaltungen nicht stattfinden, gäbe es eine landesweite, grossflächige Störung und "Menschen könnten sterben", so Arto Pahkin, Manager für Netzbetrieb bei Fingrid Oyj, das für das Stromnetz des Landes zuständig ist.

Finnland befindet sich im Brennpunkt der Energiekrise in Europa. Im Mai stoppte Russland die Strom- und Gaslieferungen an das Land als offensichtliche Vergeltung für dessen Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine und die Entscheidung, der NATO beizutreten.

Während sich alle Länder der Region auf einen schwierigen Winter vorbereiten, ist Finnland besonders gefährdet, da ein Energieverlust die Bewohner innerhalb weniger Stunden bedrohlichen Lebensbedingungen aussetzen könnte. 

Gleichzeitig ist vielleicht kein Land besser darauf vorbereitet, mit den Folgen eines Stromausfalls umzugehen.

Seit Jahren gibt das Verteidigungsministerium Broschüren heraus, in denen beschrieben wird, was im Falle eines Stromausfalls zu tun ist. Darin wird den Menschen empfohlen, batteriebetriebene Radios zu Hause zu haben und genügend Lebensmittel, Wasser und medizinische Vorräte für 72 Stunden bereitzuhalten. Schon vor dem Krieg in der Ukraine verfügte schätzungsweise ein Drittel der finnischen Bürger über diese Vorräte.

Kleines Problem im Vergleich zur Ukraine

Mervi Pirttikoski-Takala, eine Buchhalterin, die im Grossraum Helsinki lebt, berichtet, dass sie bereits den Stromverbrauch reduziert, indem sie ihre Fussbodenheizung ausschaltet, wenn sie nicht gebraucht wird.

"Wir haben zusätzliche Teppiche auf den Fussböden ausgelegt und Taschenlampen gekauft", sagt die 53-Jährige. Die Kälte sei jedoch "ein kleines Problem", verglichen mit dem, was die Ukrainer durchmachen.

Finnland profitiert indessen von jahrelanger Vorbereitung. Im September 2014 unterbrachen die Behörden die Stromversorgung von 70'000 Menschen in der arktischen Stadt Rovaniemi, um zu testen, wie sich ein plötzlicher, grossflächiger Stromausfall in der Realität auswirken würde. Die Übung sollte den Behörden die Möglichkeit geben, einen so genannten Schwarzstart zu üben, bei dem das Stromsystem ohne Hilfe von importierter Energie wieder in Gang gebracht wird. Laut Pahkin, der an der Übung teilnahm, war dies ein Weckruf, der die Behörden dazu veranlasste, ihr Vorgehen zu überdenken.  

Wäre das nicht geschehen, "wären wir in einer schlimmen Lage", sagte er. Seitdem finden regelmässig Übungen statt, zuletzt im September dieses Jahres in Helsinki.

Kaum eigene Energie

Obwohl es in Finnland seit 1974 keinen Stromausfall aufgrund eines nationalen Netzausfalls mehr gegeben hat, bleibt die Gefahr bestehen, dass die Importe nicht gesichert werden können. Im Gegensatz zu den Nachbarländern Schweden und Norwegen, die über reichlich Wasserkraftreserven verfügen, hat Finnland nur wenige einheimische Energieressourcen, kauft fast ausschliesslich fossile Energie und ist auf Importe angewiesen, um Defizite auszugleichen. Eine gewisse Erleichterung könnte jedoch in den nächsten Monaten eintreten, wenn das kleine nordische Land nach fast 14 Jahren Verzögerung endlich den grössten Atomreaktor Europas in den Regelbetrieb nimmt.

Erst einmal decken sich die Finnen mit Brennholz, Gasheizungen und Dieselgeneratoren ein und nehmen die Dinge selbst in die Hand, indem sie den Stromverbrauch reduzieren. Neben der Aufforderung an die Menschen, die Raumtemperaturen zu senken, kürzer zu duschen und mehr öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, hat die Regierung eigene Energiesparinitiativen ergriffen, zu denen auch die Verkürzung der Öffnungszeiten der parlamentseigenen Sauna gehört. 

Die Haltung von Marja Lyhty, einer 52-jährigen ehemaligen Blauhelmsoldatin, spiegelt die Mischung aus Gelassenheit und Einfallsreichtum wider, die den finnischen Ansatz kennzeichnet. Sie hat sich mit Lebensmitteln eingedeckt und bevorzugt Tortillas und Taco-Füllungen statt Nudeln und Reis.

"Ich habe einen Schlafsack, der mich bis -20 °C warm hält", fügt sie hinzu. "Den hole ich raus, wenn es nötig ist."

(Bloomberg)