«Es scheint, als ob deine Frage auf einem Missverständnis basiert. Aktienkurse sind in der Regel nicht neutral, sondern werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst, die sich auf die finanzielle Gesundheit eines Unternehmens, den Markt und die Wirtschaft im Allgemeinen beziehen.»

Diese Antwort erhielt ich auf Chat GPT auf eine entsprechende Frage. Das KI-Helferlein hat natürlich wie fast immer Recht. Kurse und Zahlen an den Märkten sind nüchtern und kalt, aber keineswegs neutral. Und vor allem: Sie lügen in den allermeisten Fällen nicht.

Auch im Jahr 2023 gibt es Zahlen und Trends an den Märkten, die kaum Interpretationsspielraum offen lassen. Es sind Entwicklungen, die uns und die Finanzindustrie mit unangenehmen Tatsachen konfrontieren, aus denen wir Lehren ziehen können. Hier meine subjektive Auswahl:

1) Anleger verpassen einmal mehr den Börsenaufschwung. Der Dow Jones auf Rekordhoch, der deutsche Dax auf Rekordhoch, der japanische Nikkei auf 33-Jahreshoch. Sogar der träge Swiss Market Index schafft es noch auf ein Jahresplus von fast 4 Prozent. Und was machen die verängstigten Anleger? Sie stehen im Abseits: Das Handelsvolumen an der Schweizer Börse SIX ist in diesem Jahr auf den tiefsten Stand seit elf Jahren abgesackt. Die Investoren laufen damit wieder Gefahr, auf dem «Peak» zu kaufen und dann zuschauen zu müssen, wenn die Märkte ins Rutschen geraten. Langfristig orientierte und geduldige Anleger verhalten sich anti-zyklisch. Sie investieren nicht wie die breite Masse.

2) Eine Bank blamiert sich in der Zinswende. Wie gelingt es einem Unternehmen, innert kurzer Zeit den Aktienkurs von 63 auf 43 Franken abstürzen zu lassen und dabei 2 Milliarden Franken an Börsenwert zu verbraten? Julius Bär kennt die Antwort: Man gewähre einem Blender einen Kredit von 600 Millionen Franken und lasse dabei Risiken von straffen Zinserhöhungen aussen vor. Die Erkenntnis: Manch ein Immobilienbesitzer in der Schweiz hat seine Kreditrisiken besser im Griff.

3) Rüstung ist en Vogue. Die Aktie des deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall hat in diesem Jahr über 50 Prozent zugelegt, der Titel des französischen Militärtechnikspezialisten Thales 13 Prozent. Es sind Kursanstiege von unpopulären Unternehmen. Wer will schon von Kriegen profitieren? Die Kurshausse der Rüstungskonzerne der westlichen Welt haben dennoch ihre Logik: Wer gegen Diktatoren, Autokratien und Terroristen keine Härte zeigt und zaudert, verliert.

4) Die Grüne Welle flacht an den Märkten ab. Die Zuflüsse in nachhaltige Anlagen schwächeln, wie die Studie «Global Sustainable Fund Flows» von Morningstar gezeigt hat. Hartnäckige Inflation, steigende Zinssätze und Rezessionsängste werden als Gründe angegeben. Gleiches gilt offenbar für eine Umfrage der Stanford University, wonach Millenials und die Generation Z den ESG-Themen mehr und mehr den Rücken kehren. Kann es auch sein, dass die Leute der Masse an ESG-Finanzprodukten langsam überdrüssig sind?

5) China bleibt unzuverlässig. Der Aktienkurs des chinesischen Online-Riesen Alibaba ist 2023 wieder 15 Prozent zurückgegangen. Zuletzt schockierte die Absage des Spinoffs von Alibabas Cloud-Sparte die Investoren. Vom Rekordhoch Ende 2020 ist der Alibaba-Aktienkurs Welten entfernt. Damals begann der «Crackdown» der kommunistischen Machthaber in Peking gegen die grossen einheimischen Tech-Firmen, die ihnen zu mächtig und wirtschaftsliberal wurden. Dennoch wird von Banken und Vermögensverwaltern regelmässig zu Jahresbeginn China als «interessanteste Wachstumsstory» verkündet. Oscar Schwenk, der im Juli verstorbene Pilatus-Patron, hatte irgendwann mal genug von der Story. 2021 sagte er in einem Interview: «Es tut mir leid, ich habe früher an China geglaubt. Aber China ist ein unzuverlässiger, arroganter Geschäftspartner.»