Herr Birchler, der Finanzplatz hat sich in den letzten zehn Jahren stark gewandelt. Braucht es eine Postfinance im Besitz der Eidgenossenschaft noch?

Urs Birchler: Die Existenzberechtigung der Postfinance besteht in der Grundversorgung der Bevölkerung mit Zahlungsverkehrsdienstleistungen. Dazu braucht es erstens ein Netz von zu Fuss erreichbaren Filialen und zweitens eine Garantie des Bundes für die Postfinance-Kundengelder. Das Filialnetz mag bei einem kleinen Teil der Bevölkerung noch eine Rolle spielen. Ein Immigrant, der kein Deutsch spricht oder eine Betagte, die nicht mehr gut sieht, sind am Postschalter meist besser aufgehoben als bei einer Geschäftsbank. Alle andern zahlen aber heute mit Kreditkarte oder Handy; für die grosse Mehrheit ist Postfinance ein Relikt.

Und wie steht es um die Bundesgarantie für Postfinance-Gelder?

Das Angebot eines Kontos mit Staatsgarantie ist heute nicht mehr notwendig. Einlagen bei Banken sind durch den Einlegerschutz bis 100'000 Franken geschützt. Wer noch mehr Sicherheit haben möchte, bringt sein Geld zu einer Kantonalbank. Auf europäischer Ebene steht die Staatsgarantie allerdings unter politischem Druck, sowohl jene für die Kantonalbanken und erst recht jene für die eidgenössische Postfinance.

Die Existenzberechtigung der Postfinance scheint also zu schwinden. Worauf müsste sich das Institut konzentrieren?

Bankkonti mit Staatsgarantie sind eine Art 'Vollgeld'. Dieses wurde vom Souverän abgelehnt. Ein Argument war: Konti mit Staatsgarantie unterminieren die Stabilität des Bankensystems, da in Krisenzeiten eine Massenflucht in Staatskonti die Geschäftsbanken ruinieren kann. Man kann auf die Dauer also nicht beides haben: Ein Bankensystem, das Einlagen ausleiht, und ein System mit Staatskonti. Ein staatlicher Anbieter wie Postfinance sollte daher nur für bankferne Bevölkerungskreise eine Alternative bieten. Aber mit klaren Obergenzen für die Konti.

Könnte eine Privatisierung der Postfinance einen Ausweg darstellen?

Eine Privatisierung halt ich für überhaupt nicht sinnvoll. Das Sicherstellen der Grundversorgung für bankferne Bevölkerungsteile ist kaum rentabel - muss es auch nicht sein - und gehört daher, wenn schon, zu den Staatsaufgaben. Zumal mit dem Kantonalbanken bereits ein teilweise privatisiertes Angebot zur Verfügung steht. Deren Leistungsauftrag enthält meist auch eine Grundversorgungskomponente an Bankdienstleistungen.

Die Postfinance unterliegt heute einem gesetzlichen Kreditvergabe-Verbot. Ist dieses Verbot aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Der Wettbewerb im Hypothekargeschäft ist schon verfälscht durch die explizite kantonale Staatsgarantie der Kantonalbanken und die implizite eidgenössische Staatsgarantie für die sogenannt systemrelevanten Banken. Ein weiterer Konkurrent mit eidgenössischer Staatsgarantie wäre daher vollkommen überflüssig beziehungsweise schädlich. Zumal: Auch eine privatisierte, aber als systemrelevant eingestufte Postfinance müsste im Krisenfall vom Staat gerettet werden. Kein Politiker würde eine Bank mit über zwei Millionen Gläubigern im Stich lassen.

Bliebe die Postfinance im Status Quo bestehen, also staatlich und mit Kreditverbot. Welche Gefahren könnten sich daraus ergeben?

Die Postfinance bliebe dann eine systemrelevante Konkurrentin mit expliziter Staatsgarantie. Zur Deckung der Kosten müsste das Institut wohl Gebühren erheben und würde mit der Zeit schrumpfen, was aus meiner Sicht sinnvoll wäre. Die minimale Grundversorgung bankferner Bevölkerungsteile müsste der Bund wohl oder übel subventionieren und deren Erbringung regelmässig überprüfen.

Wie sähe Ihre persönliches Wunschszenario für eine zukünftige Postfinance aus?

Ein französisches Sprichwort lautet: 'Sans raison d’être il vaut mieux disparaitre'. Eine Institution, die es nicht braucht, verschwindet langfristig letztlich von selbst. Es geht nur darum, welches die schmerzloseste Variante darstellt. Sie besteht selten im Aufschieben des Problems.

Das Interview mit Urs Birchler erschien zuerst bei HZ mit dem Titel: «Die Postfinance ist ein Relikt»