cash.ch: Die Schweizer Börse, gemessen am SPI oder SMI, steht noch immer tiefer als bei Trumps «Liberation Day» Anfang April. Besteht weiteres Abwärtsrisiko, wenn diese Zölle mit 39 Prozent kommen?

Nannette Hechler-Fayd'herbe: Es gibt weiteres Potenzial nach unten, da weder der US-Arbeitsmarktbericht und somit der ganze zyklische Ausblick in den Kursen von Schweizer Aktien wirklich eins zu eins widergespiegelt ist. Das gilt auch für die Zölle in der Höhe von 39 Prozent, wenn es denn so weit kommt. Generell muss man dazu sagen, dass die Kursverluste am Montag moderat ausfielen, weil die beiden Pharmaschwergewichte Novartis und Roche mit einer Indexgewichtung von mehr als 30 Prozent vorerst von den Zöllen verschont blieben. Weitere 20 Prozent vom Index sind Banken und Versicherungen, die ebenfalls nicht betroffen sind.

Die Massnahmen von Donald Trump gegen Pharma-Firmen scheinen nur aufgeschoben?

Wir wissen nicht, wie es mit der Pharma-Branche in den USA weitergeht. Am Schweizer Aktienmarkt zählt aber nicht nur Pharma. Es gibt viele Dienstleistungsunternehmen zu berücksichtigen, die mehr auf den Binnenmarkt oder Europa fokussiert sind. Die sind von US-Zöllen deutlich weniger betroffen. Es ist deshalb nicht super überraschend, dass die Schweizer Börse bis jetzt noch nicht stark reagiert hat. Für Entwarnung ist es noch zu früh.

Die Cashflows dürften bei so hohen US-Zöllen schrumpfen. Sind deswegen die Dividenden gefährdet?

Die Unternehmungen werden versuchen, dies zu überbrücken, und ich bin nicht ganz so besorgt über die Diskussion. Wir haben immer wieder Momente erlebt, die sehr grosse Herausforderungen für sämtliche Sektoren und über verschiedene Konjunkturzyklen hinweg darstellten. Wir gehen in unserem Basisszenario davon aus, dass die US-Zölle gegenüber der Schweiz sinken und nicht permanent so hoch sein werden. Wir wissen nicht wann genau, aber wir gehen am Ende von einem Zoll-Satz zwischen 15 und 20 Prozent aus. Die Unternehmen haben dann etwas Zeit, sich neu aufzustellen, weshalb die Dividenden nicht tangiert sein dürften. 

Das Kurs-/Gewinn-Verhältnis (KGV) beim Swiss Market Index beträgt 16. Ist das ein fairer Wert bei einem historischen KGV von 17?

Das ist eine gute Nachricht, der SMI respektive der Schweizer Gesamtmarkt sind nicht überteuert. Das sieht ganz anders aus in anderen Regionen wie zum Beispiel beim US-Markt, der wirklich teuer ist im Vergleich. Ändern sich die Rahmenbedingungen durch die Handelspolitik, die für die Schweiz als offene kleine Wirtschaft so wichtig sind, dann ist der Startpunkt der Bewertungen am hiesigen Aktienmarkt zumindest keine grosse Hürde.

Die Nullzinsen sollten auch ein unterstützender Faktor sein.

Das ist in der Tat so. Das lässt einen gewissen Spielraum bei der Bewertung nach oben zu, so dass sich negativ entwickelnde Gewinne bei den Unternehmen kompensieren lassen. Ebenso können Negativzinsen nicht ausgeschlossen werden. Dieses Zusammenspiel zwischen Bewertung und Gewinndynamik wirkt unterstützend und danach kommt es darauf an, wie die Unternehmungen sich da durchschlängeln können, um auf einen Pfad mit solidem Gewinnwachstum zurückzukehren. 

Gibt es unterbewertete Sektoren am Schweizer Aktienmarkt?

Im historischen Vergleich ebenso wie zu anderen Sektoren ist der Pharma-Sektor billig und unterbewertet. Das ist verständlich, da die USA der grösste Markt für Pharmaprodukte insgesamt und dann spezifisch auch für die Schweiz ist. Der komplette Umbruch des US-Gesundheitswesens wird an den Schweizer Pharmakonzernen nicht spurlos vorüber gehen. Allerdings sind die Ursachen in den USA für diesen sehr ineffizienten Gesundheitssektor nicht die Pharmagüter. Diese machen nur 9 Prozent der gesamten Gesundheitskosten aus. Der Grossteil geht auf die Dienstleistung zurück. Da sollte die US-Regierung den Hebel ansetzen.

Luxusgüterkonzerne wie Richemont und Swatch scheinen auch unterbewertet?

Bei den Luxuswerten hatten wir schon hin und wieder interessante Möglichkeiten aufgespürt. Für den Sektor insgesamt gilt es zu betonen, dass das Geschäft in China gar nicht so schlecht läuft, auch wenn das Wachstum bei Luxusgütern auf sich warten lässt. Eigentlich haben sich die Wirtschaften weltweit besser als befürchtet entwickelt im ersten Halbjahr. Aber ganz besonders für die Luxusbranche, für zyklische Sektoren ist es immer gut, wenn es nicht so schlecht wie befürchtet kommt. Es ist aber jetzt nicht ein Sektor, den wir auf Übergewichten nehmen. Das gilt im Übrigen auch für die Pharmaindustrie. Es ist noch nicht soweit, auch wenn uns die Bewertungen im Pharmabereich gefallen. Wenn man in den USA mehr Klarheit hat, dann könnten sich aber sehr gute Möglichkeiten entwickeln.

Macht es bei den vielen Risiken Sinn, in Aktien übergewichtet zu sein?

Wir haben vor dem 1. August die Aktienquote von entwickelten Aktienmärkten, also USA, Europa, Japan, von Übergewichten auf Neutral zurückgenommen. Einzig in den Schwellenländern bleiben wir übergewichtet, da sehen wir Potenzial. Mit den Gewinnmitnahmen haben wir nun etwas mehr Cash, um flexibel zu bleiben, falls es zu Überraschungen kommt. 

Anfang April machte der Slogan «Sell America» die Runde, und meist sind US-Aktien teuer. Eher meiden?

Wir fanden die Diskussion sehr verfrüht. Was sich danach mit der Kurserholung entwickelte, hat uns recht gegeben. Der US-Markt bleibt für Anlegerinnen und Anleger wichtig. Er hat qualitativ so starke Gewinnstrukturen, dass man sich nicht ganz von den US-Titeln verabschieden kann. Deswegen arbeiten wir immer nur mit den relativen Gewichtungen.

Nannette Hechler-Fayd'herbe ist seit 2024 Leiterin Anlagestrategie, Nachhaltigkeit und Research sowie als Investmentchefin (CIO) für Europa, den Nahen Osten und Afrika (EMEA) bei Lombard Odier tätig.

Thomas Daniel Marti
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