Was als kreative Notlösung einzelner Häuser begann, gilt Analysten inzwischen als weiteres Anzeichen für den zunehmenden Deflationsdruck in der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt, die mit fallenden Preisen in vielen Branchen kämpft.

«Heutzutage kommen die Leute nicht einfach, weil man die Preise senkt oder Rabatte anbietet – sie kommen einfach gar nicht», klagt die Vertriebsdirektorin des Beiyuan Grand Hotel in Peking, Anwen Xu. Die Hotelbranche leidet unter der schwächeren Verbrauchernachfrage, aber auch unter Kürzungen bei den Reisebudgets von Unternehmen und Behörden sowie fehlenden Reservierungen für Bankette. Das ist nicht zuletzt Folge einer politischen Massnahme: Die Regierung hat die Sparvorgaben für Angestellte des öffentlichen Dienstes und Parteimitglieder verschärft - einschliesslich des Verbots von Essen in grossen Gruppen und der Einschränkung des Alkoholkonsums.

Analysten sehen in den Problemen des Gastgewerbes ein Warnsignal. «Diese gehobenen Gastronomiebetriebe, insbesondere Fünf-Sterne-Hotels, müssen strategische Anpassungen vornehmen, um zu überleben», sagt He-Ling Shi, Wirtschaftsprofessor an der Monash University in Melbourne. «Dieses Phänomen spiegelt wider, dass die gesamtwirtschaftliche Lage in China nun mit einem ziemlich erheblichen Deflationsrisiko konfrontiert ist.»

Frühstück für 40 Cent

Als weitere Anzeichen für eine Deflation - eines Preisverfalls auf breiter Front - werten Experten Frühstücksangebote für drei Yuan (knapp 40 Cent) oder aggressive Rabattaktionen in Supermärkten. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Unternehmensbilanzen: Die Gewinne im Beherbergungsgewerbe in der Hauptstadt Peking brachen offiziellen Angaben zufolge im ersten Halbjahr 2025 um 92,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein.

Auch in der Wirtschaft insgesamt fällt es Unternehmen schwer, höhere Preise durchzusetzen: Die Inflationsrate lag im Juli bei null Prozent. Was auf den ersten Blick wie ein Geschenk für die Verbraucher wirkt, hat bei genauerem Hinsehen negative Folge für die Wirtschaft. Ohne höhere Preise fehlt vielen Unternehmen das Geld für Neueinstellungen und Investitionen.

Die Verbraucher seien auf der Suche nach Schnäppchen, sagt die Gründerin des Beratungsunternehmens ApertureChina, Yaling Jiang. Sie zeigten sich bei Ausgaben im oberen Preissegment jedoch «zögerlich». Dies bestätigt Kunde Seven Chen, der vor dem Beiyuan Hotel gegrilltes Fleisch kauft. «Der Hauptgrund ist, dass die Leute nicht genug Einkommen haben», sagt der in der Finanzbranche tätige Anwohner. Er selbst übernachte auch seltener in teuren Hotels als früher.

Der Strassenverkauf ist für viele Hotels zu einer wichtigen alternativen Einnahmequelle geworden. Das Grand Metropark Hotel in Peking verdient nach eigenen Angaben täglich einige Tausend Yuan zusätzlich mit dem Verkauf von geschmorter Ente oder Flusskrebsen. Im Beiyuan ist der Bestseller die knusprige gebratene Taube für 38 Yuan. Im Restaurant kostet sie 58 Yuan. Seit Beginn des Strassenverkaufs Ende Juli werden täglich etwa 130 Tauben verkauft, verglichen mit rund 80 zuvor. Der Strassenverkauf arbeite mit einer Marge von zehn bis 15 Prozent, erklärt Vertriebsdirektorin Xu. Dies sei zwar besser als bei einem durchschnittlichen Caterer. Das reiche jedoch nicht aus, um den Rückgang im Haus vollständig auszugleichen.

Dass der Strassenverkauf dem Markenwert schaden könnte, weist Shen Qiuya zurück. Sie ist Marketing- und Verkaufsleiterin des Fünf-Sterne-Hotels River & Holiday in Chongqing. Ihr Haus habe den Tagesumsatz von wenigen Tausend auf 60.000 Yuan gesteigert, nachdem es im vergangenen Monat Verkaufsstände auf seinem Parkplatz eingerichtet hatte. «Jede Branche hat in diesem Jahr Schwierigkeiten», sagt sie. «Überleben ist das Wichtigste. Das Gesicht zu wahren ist nichts wert.»

(Reuters)