"Der Winter kann relativ warm sein, aber dann wird es eine Woche oder fünf Tage lang ungewöhnlich kalt sein, und es ist möglich, dass ganze Städte und Landstriche, Gott bewahre, frieren werden", sagte Alexej Miller am Mittwoch auf der Russian Energy Week in Moskau.

An Tagen, an denen die Nachfrage im Winter am höchsten ist, könnten in Europa rund 800 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag fehlen, was einem Drittel des Gesamtverbrauchs entspricht, sagte Miller unter Berufung auf nicht namentlich genannte Analysten.

Russland hat die Lieferungen nach Europa über die letzten Monate sukzessive gedrosselt, nachdem die Beziehungen zwischen dem Westen und dem Kreml wegen des Einmarschs in der Ukraine immer eisiger wurden. In der Vergangenheit lieferte Gazprom in Spitzenzeiten des Winters zwischen 600 Millionen und 1,7 Milliarden Kubikmeter pro Tag, so Miller.

Die europäischen Gasspeicher seien derzeit zwar zu etwa 91 Prozent gefüllt, so Miller. Doch beispielsweise die deutschen Speicher seien gerade einmal ausreichend für zwei, maximal zweieinhalb Monate Verbrauch. Im März, wenn die Speicherentnahmen üblicherweise enden, würden sie den pessimistischsten Annahmen zufolge nur noch zu 5 Prozent gefüllt sein werden, so Miller.

"Gewiss, Europa wird überleben, aber was wird bis zur Einspeicherung des Gases" vor dem Winter 2023 und 2024 passieren, so Millers rhetorische Frage. "Dann wird klar sein, dass die Energiekrise nicht von kurzer Dauer sein wird." Die höheren Gaspreise könnten zudem die Deindustrialisierung Europas zur Folge haben, so Miller.

Ein Strang der Nord Stream 2 lieferfähig

Was die durch Explosionen ungeklärter Ursache beschädigte Ostseepipeline Nord Stream angeht, sagte Miller, ein Strang des neuen Teils Nord Stream 2 sei unbeschädigt und könne sofort liefern. Die entsprechenden Entscheidungen lägen nur an der Europäischen Union und Deutschland. "Wenn die Pipeline ihre Zertifizierung erhält, können wir sofort mit den Gaslieferungen beginnen", so Miller.

Schon vor den Explosionen hatte Gazprom die Lieferung von Gas nach Deutschland über Nord Stream wegen Problemen mit den Turbinen eingestellt, die das Gas in die Röhren pumpen. Während Moskau dafür die Sanktionen gegen Russland verantwortlich machte, hatte die Bundesregierung das als reinen Vorwand abgetan. 

So lange dieses Problem nicht geklärt sei, mache es wenig Sinn, die Pipeline zu reparieren, so Miller. 

Auf derselben Veranstaltung hatte zuvor Wladimir Putin die Nord-Stream-Sabotage als "Terrorakt" bezeichnet, deren Nutzniesser die USA, Polen und die Ukraine seien. Russland sei jedoch bereit, Gas über den zweiten Strang von Nord Stream 2 zu liefern, so Putin.

(Bloomberg)