Zwischen Januar und Mai fiel der Ölpreis von 82 auf 60 Dollar je Barrel, und nach einem vorübergehenden Aufbäumen ist er seit Juni abermals gesunken - diesmal von 85 auf  69 Dollar je Barrel. Solche Rückfälle des Ölpreises lassen leicht - in gewisser Hinsicht zu leicht - auf eine konjunkturelle Abkühlung mit Folgen für den Aktienmarkt schliessen.

Die dazu angenommene Logik ist zwar nicht falsch: Sinkende Rohölnotierungen gehen auf eine tiefere Energienachfrage zurück, und der schleppendere Wirtschaftsgang strahlt negativ auf die Aktienmärkte aus. Jedoch werden solche Schlüsse von Erfahrungswerten der vergangenen Jahrzehnte widerlegt. Dies zeigt eine Auswertung, die den Zusammenhang zwischen einer Veränderung des Ölpreises und der zukünftigen Entwicklung des Aktienindex S&P 500 ermittelt hat.

Es ergab sich mitunter: Wenn der Ölpreis auf Sicht eines Jahres um mehr als 29,3 Prozent nachgab, legten die US-Aktien am stärksten zu - und zwar im Schnitt um 19 Prozent. Und verlor Brent zwischen 14,0 und 29,3 Prozent, lag das Plus des Aktienindex im Mittel bei 15 Prozent.

«In der Vergangenheit waren Zeiten mit fallenden Ölpreisen ein guter Einstiegszeitpunkt für Aktien», führt Pascal Kielkopf, Kapitalmarktanalyst von HQ Trust, der die Auswertung vorgenommen hat. Zwei Gründe erklären den Aktienanstieg im Gefolge von Ölpreisrückfällen. Zum einen: Öl ist ein wichtiger Rohstoff in der Produktion und der Logistik, weshalb tiefere Preise niedrigere Produktions- und Transportkosten bringen. Das wirkt sich positiv auf die Gewinnmargen aus.

Zum anderen: «Günstigere Energiepreise wirken wie ein Konjunkturprogramm», sagt Kielkopf. Auch Konsumenten werden dabei entlastet und haben mehr Geld zur Verfügung. Die höheren Konsumausgaben tragen zum Wirtschaftswachstum bei und können schliesslich einen flotteren Börsengang begünstigen.

So erschliesst sich ferner, weshalb steigende Ölpreise immer wieder mit gemässigtem Abschneiden von Aktien einhergingen. Zog Brent-Öl auf Jahressicht zwischen 41,3 und 62,7 Prozent an, gewann der S&P 500 in den darauffolgenden zwölf Monaten im Schnitt nur 5 Prozent, so die Untersuchung von HQ Trust.

Und auch beim grössten verzeichneten Plus des Ölpreises, einem Zuwachs von mehr als 62,8 Prozent, lag die Aktienrendite von 6 Prozent unter dem langjährigen Schnitt des S&P 500. Dazu sagt Kapitalmarktanalyst Kielkopf: «Die gute Nachricht für Anlegerinnen und Anleger ist aber, dass die Aktien im Mittel auch in diesen Zeiträumen an Wert gewannen.»

Reto Zanettin
Reto ZanettinMehr erfahren