Das Börsengeschehen der vergangenen Wochen erinnert uns an den menschlichen Herdentrieb - und manchmal auch ein wenig an Spiele aus dem Turnunterricht. So verlagern Anleger ihre Aktienpositionen von Halbleitern zu defensiven Werten, wenn Donald Trump Zölle bekannt gibt, und andere verlassen Schlag auf Schlag ihre Position in Nvidia, weil die KI-Chips von DeepSeek «angeblich effizienter sind».
Während sich die Mehrheit verunsichern lässt, hoffen andere, diese Phase als guten Einstiegszeitpunkt nutzen zu können. Laut Investmentlegende Warren Buffett sind schlechte Nachrichten schliesslich der «beste Freund des Anlegers», auch ganz nach dem Motto: «Buy on Bad News, sell on Good News». Anleger wollen Aktien nahe am Tiefpunkt kaufen und beim Höchststand wieder verkaufen. Es geht um das vielbesagte Markttiming.
Doch den richtigen Einstiegszeitpunkt, den es laut Experten gar nicht gibt. So riet Finanzprofessor Erwin Heri vor 23 Jahren in seinen «Acht Geboten der Geldanlage»: Versuchen Sie nicht, den richtigen Moment zu erwischen – es gibt ihn nicht. Die Börse reagiert oft unvorhersehbar - nicht nur auf Fakten, sondern auch auf Erwartungen und Stimmungen. So können Kurse trotz guter oder schlechter Nachrichten unerwartet verlaufen.
«Es liegt in der Natur der Sache oder des Menschen – mit dem vermeintlich richtigen Zeitpunkt erhoffen wir uns den grösstmöglichen Gewinn für unser Portfolio», erklärt Daniel Lüchinger, Chief Investment Officer der Graubündner Kantonalbank, das Phänomen. Viele glaubten, es gebe ein Geheimrezept oder ein perfektes Wissen - doch dem sei nicht so.
Lüchinger rät: «Der beste Einstiegszeitpunkt war immer gestern – und der zweitbeste ist heute.» Für langfristig orientierte Anlegerinnen und Anleger sei fast jeder Einstiegszeitpunkt geeignet. Aktuell sehe man eine starke Volatilität an den Aktienmärkten. «Wer jetzt investiert, sollte eine gewisse Risikofähigkeit mitbringen – und die Aktienkurse nicht täglich verfolgen, sondern auf die langfristige Entwicklung setzen», so der Experte. Der Spruch «Time in the market beats timing the market» (Der Anlagezeitraum ist wichtiger als der Zeitpunkt) bekräftigt diese Herangehensweise.
Entscheidend sind Anlagehorizont, Diversifikation und Disziplin. Finanzmärkte belohnen Geduld und nicht das perfekte Timing, betont Lüchinger und veranschaulicht das an einem Beispiel von zwei verschiedenen Anlagestrategien anhand von Aktien aus den USA seit 1970.
«Buy-Low-Sell-High»-Strategie: Person A kauft immer dann Aktien, wenn die Kurse nicht mehr als 5 Prozent höher sind als die Tiefststände der letzten zwölf Monate und verkauft die Aktien wieder, sobald der Kurs in die Nähe des Höchststandes der letzten zwölf Monate steigt.
«Buy-and-Hold»-Strategie: Person B kauft einmal Aktien und hält daran fest.
Person A hätte in der Vergangenheit 1,5 Prozent Rendite pro Jahr erzielt, während Person B eine Rendite von über 11 Prozent pro Jahr erreicht hätte.
Langfristige Investitionen erzielen üblicherweise bessere Ergebnisse, da sie von den Auf- und Abs des Marktes profitieren, da Market-Timing-Strategien tendenziell häufiger in Fehlentscheidungen münden und schlechteren Ergebnissen führen.
Wenige starke Tage entscheiden über den Grossteil der Rendite. Wer versucht, den perfekten Zeitpunkt zu treffen, riskiert, entscheidende Tage zu verpassen. Ein zu langes Festhalten an Verlierer-Titeln kann jedoch auch ein Fehler sein.
Die richtige Strategie
Dem hat auch Buffett nichts auszusetzen, denn sein Investmentprinzip beruht auf Qualität statt Quantität. «Man kauft Anteile an einem grossartigen Unternehmen mit höchst integrem und fähigem Management für weniger als ihren inneren Wert. Dann behält man diese Anteile für immer», so seine Strategie. Das Timing ist dabei zweitrangig, denn Langfristigkeit zahlt sich aus. Lüchinger empfiehlt mindestens fünf Jahre dabei zu bleiben. «Ein idealer Anlagehorizont ist so lange, dass mehrere Marktzyklen durchlaufen werden können.»
Dies ist jedoch gar nicht so einfach, besonders wenn der Herdentrieb einsetzt. Emotionen wie Angst, Gier, Hoffnung und Panik können Anleger zu irrationalen Handlungen verleiten. Es besteht die Gefahr, bei einer Markterholung Gewinne zu verpassen – viele Anleger zögern zu lange oder steigen erst spät wieder ein. Nach Fehlentscheidungen fehlt ausserdem oft die nötige Ruhe, was zu übervorsichtigem Verhalten oder riskanten Investitionen führen kann.
Experten wie Erwin Heri empfehlen, sich an folgende Orientierungshilfe zu halten: Der Strategie treu bleiben und Emotionen beiseite lassen. Anleger sollten also an einer langfristigen Anlagestrategie festhalten und kurzfristige Turbulenzen mehr oder weniger «ignorieren». Denn die Märkte haben sich nach Einbrüchen stets erholt und zeigen langfristig Aufwärtstendenz.
Eine klar definierte Strategie und Kriterien für den Kauf und Verkauf einer Aktie helfen, irrationale Entscheidungen zu verhindern. Die Anlagestrategie hängt von Kriterien wie Anlageziel, Anlagezeithorizont und Risikofähigkeit ab, während bei der Aktienwahl verschiedene Bewertungskennzahlen als Kriterium gewählt werden.
Die Qualität eines Unternehmens ist entscheidend. «An Aktien von Qualitäts-Unternehmen kann man in jeder Krise festhalten», betont Lüchinger. Diese zeichnen sich durch ein starkes Geschäftsmodell und eine hohe Preissetzungsmacht aus, da sie Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die nicht einfach austauschbar sind. Wichtig sind auch die Profitabilität und das stetige Gewinnwachstum eines Unternehmens. Weitere Qualitätsfaktoren sind eine faire Bewertung relativ zum Sektor, gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), oder ein vertrauenswürdiges Management.
Diversifikation ist ein weiterer Anhaltspunkt, der in volatilen Phasen unterstützend oder beruhigend wirken kann. Ein breit diversifiziertes Portfolio über verschiedene Anlageklassen - also Aktien, ETFs, Obligationen, Immobilien etc. - minimiert das Risiko auf Verluste. Diese Allokation sollte zudem regelmässig überprüft und angepasst werden.
Als Investor erwischt man also idealen Einstiegszeitpunkt. Wichtig ist es, an der persönlich definierten Strategie festzuhalten, auch in turbulenten Zeiten – das Nutzen von Chancen und damit zusammenhängend eine Anpassung der taktischen Positionierung kann jedoch sinnvoll sein.