Die Jahreszahlen von Lonza rückten heute Morgen etwas in den Hintergrund. Obwohl der Zulieferer für die Chemie-, Pharma- und Biotechbranche einmal mehr hohes Wachstum präsentieren konnte, beschäftigt die Aktionäre vor allem eines: der überraschende Rücktritt von CEO Richard Ridinger. Die Lonza-Aktien sinken bis 11 Uhr um 5 Prozent auf 265 Franken.

Die Sorgen sind berechtigt, schaffte Ridinger mit Lonza doch einen eindrücklichen Turnaround: Bei seinem Antritt 2012 machte Lonza einen Umsatz von 2,7 Milliarden Franken, heute sind es mit 5,5 Milliarden doppelt so viel. Mehr noch: Ridinger brachte die Gewinndynamik zurück und hinterlässt auch an der Börse grosse Fussstapfen. Unter seiner Führung stieg der Aktienkurs von 38 auf 279 Franken (Schlussstand 29. Januar), was einer Performance von 631 Prozent entspricht.

Neuer Lonza-Chef ab Anfang März wird Marc Funk, derzeit Chief Operating Officer der Division Pharma & Biotech, die wachstumsstärkste Division des Konzerns. Dennoch zeigen sich Analysten enttäuscht vom Sesselwechsel. Die amerikanische Investmentbank Jefferies schreibt, Ridinger dürfte vermisst werden. Insbesondere weil Lonza erst die Hälfte des Weges zurückgelegt habe, um die Mittelfristziele von 2022 zu erreichen. Bis dann will Lonza einen Umsatz von 7,5 Milliarden erwirtschaften.

Dennoch hält Jefferies an der Kauf-Empfehlung und dem Kursziel von 365 Franken fest, was einer Performance von 38 Prozent entspricht. Auch die Bank Vontobel ändert nichts an ihrer Einschätzung der Aktie, empfiehlt sogar "jede weitere Kursschwäche als Kaufgelegenheit" wahrzunehmen. Einen Schritt weiter geht die Helvetische Bank. Sie schreibt in einem Kommentar, sie bedauere den Abgang sehr, weil Lonzas Transformation vor allem auf Ridinger zurückzuführen sei. Die Bank überprüft ihren Lonza-Bestand in ihrem Portfolio.

Lonza und Visp

Unter Ridinger stemmte Lonza die grösste Übernahme der Firmengeschichte. 2017 wurde für 5,5 Milliarden Dollar der amerikanische Kapselhersteller Capsugel geschluckt. Zuerst noch als überteuerter Zukauf kritisiert, stellte sich auch diese Entscheidung als richtig heraus. Eine weitere strategische Entscheidung: Im laufenden ersten Quartal wird das Wasserbehandlungsgeschäft verkauft.

Bei der Analystin von Helvea wird Ridinger ebenfalls gelobt. Er habe einen hervorragenden Job gemacht und sei am Markt hoch angesehen. Der Deutsche hat Lonza nicht nur fokussierter aufgestellt. Es ist ihm dabei auch gelungen, den Schweizer Standort zu stärken. Zuletzt wurde in Visp eine Milliarde Franken investiert, was mehrere hundert neue Stellen zur Folge hatte. In kaum einer Schweizer Gemeinde ist die Verknüpfung zwischen einem Unternehmen und der Bevölkerung so stark wie im Oberwallis.

Für den Nachfolger Marc Funk ist die Latte also hoch angesetzt. Seine Ernennung wird am Markt zwar begrüsst, die negative Börsenreaktion signalisiert aber auch Bedenken. Unterschiede zeigen sich in den Biografien der beiden Manager: Richard Ridinger ist studierter Chemie-Ingenieur, sein Nachfolger ist Jurist. Unterschiedliche Führungsansätze und strategische Schwerpunkte würden also nicht erstaunen.

Die Suche nach den Gründen

Über die Gründe für Ridingers Rücktritt kann nur spekuliert werden. Gab es Streit mit dem Verwaltungsrat? Ist er amtsmüde? Hat er gesundheitliche Probleme? Die Helvetische Bank zeigt sich zumindest irritiert. Frühere Aussagen von Ridinger hätten angedeutet, dass er die Ziele für 2022 noch selbst erreichen wollte. "Es würde uns daher schon interessieren, was seinem Gesinnungswandel effektiv zugrunde liegt", so die Analysten.

Mit 61 Jahren ist Ridinger jedenfalls noch nicht im AHV-Alter. Lonza schreibt dazu lediglich, er habe den Wunsch geäussert, nach siebenjähriger erfolgreicher Tätigkeit sein Amt als CEO abzugeben. Er beabsichtige, künftig in nicht-exekutiven Funktionen in verschiedenen Unternehmen tätig zu werden. Aus einem Portrait der "Bilanz" ist bekannt, dass sich Ridinger für historische Stoffe interessiert und gerne Sport treibt. Dafür wird er nun vermehrt Zeit finden.