Die Schweizerische Nationalbank (SNB) vollzieht überraschend eine geldpolitische Wende und senkt die Zinsen. Der SNB-Leitsatz werde um 0,25 Prozentpunkte auf 1,50 Prozent zurückgenommen, teilte die Notenbank am Donnerstag mit. Die SNB ist mit der ersten Zinssenkung seit 2015 die erste grössere Zentralbank, die ihre straffe Geldpolitik zur Eindämmung der Inflation zurückfährt.

«Die Lockerung der Geldpolitik wurde möglich, weil die Bekämpfung der Inflation über die letzten zweieinhalb Jahre wirksam war» erklärte die Notenbank. Die Teuerung liege seit einigen Monaten wieder unter zwei Prozent und in dem Bereich, den die SNB mit Preisstabilität gleichsetze. Und die Inflation dürfte der Zentralbank zufolge auch über die nächsten Jahre in diesem Bereich bleiben.

«Mit unserem Entscheid berücksichtigen wir den verminderten Inflationsdruck und die im letzten Jahr erfolgte reale Aufwertung des Frankens», sagte SNB-Präsident Thomas Jordan. «Die Zinssenkung unterstützt auch die wirtschaftliche Entwicklung. Die heutige Lockerung stellt somit sicher, dass die monetären Bedingungen angemessen bleiben.»

Von Reuters vor der vierteljährlichen geldpolitischen Lagebeurteilung der SNB befragte Ökonomen hatten mehrheitlich einen unveränderten Schlüsselzins prognostiziert.

«Wow, die SNB weiss zu überraschen», erklärte VP-Bank-Chefökonom Thomas Gitzel. «Nachdem nun die SNB mit einer Zinssenkung reagierte, ist nicht auszuschliessen, dass noch weitere geldpolitische Lockerungen folgen.»

Auch Philip Burckhardt von Lombard Odier IM erwartet noch weitere Zinssenkungen in diesem Jahr. «Dies ist auch ein ideales Abschiedsgeschenk von Thomas Jordan, der damit die Stossrichtung für seinen Nachfolger schon klar vorgeben kann,» sagte Burckhardt.

Jordan: «Wir treffen immer die richtigen Entscheidungen»

Ökonomen sahen das dreiköpfige SNB-Direktorium um den im Herbst scheidenden Notenbankchef dank einer robusten Wirtschaftsentwicklung und der jüngsten Abwertung des Franken nicht unter Zugzwang bei den Zinsen. Als Reaktion auf die Zinssenkung schwächte sich der Franken weiter ab und erreichte zum Euro den tiefsten Stand seit vergangenem Juli.

Jordan betonte auf der Pressekonferenz, die Zinssenkung sei kein Abschiedsgeschenk. «Wir treffen immer die richtigen Entscheidungen.»

Auch bei der US-Notenbank (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB stehen die Zeichen auf Zinssenkung. Doch während die EZB bereits Signale zur Bereitschaft für eine Lockerung im Juni gegeben hat, hält sich die US-Zentralbank noch bedeckt mit Blick auf den Zeitpunkt einer möglichen Senkung.

Die Inflation sei noch zu hoch, sagte Fed-Chef Powell nach dem jüngsten Zinsbeschluss am Mittwoch. Doch könnte es bei nachlassendem Inflationsdruck auch in den USA im Juni zu einer Senkung kommen, so die Einschätzung vieler Ökonomen. In Japan marschieren die Währungshüter nach einer jahrelangen Negativzinspolitik in die andere Richtung. Sie hoben den Leitzins jüngst an und erwägen Medienberichten zufolge eine weitere Straffung im Juli oder Oktober.

Der Druck auf die SNB, sich der Inflation entgegenzustemmen, hatte zuletzt kontinuierlich abgenommen: Die Schweizer Jahresteuerung ist eine der niedrigsten unter den grossen Volkswirtschaften und liegt bereits seit Mitte 2023 wieder im Zielbereich der SNB von null bis zwei Prozent.

Und die Zentralbank hat die für ihre Zinsentscheidung massgebliche Inflationsprognose nochmals kräftig gesenkt: Sie rechnet dieses Jahr nun mit 1,4 Prozent, nachdem sie im Dezember noch 1,9 Prozent veranschlagt hatte. 2025 dürften die Verbraucherpreise dann um 1,2 (bislang: 1,6) Prozent steigen und 2026 um 1,1 Prozent.

Die SNB geht dieses Jahr von einer Verlangsamung beim Wirtschaftswachstum auf rund 1,0 (bislang: 0,5 bis 1,0) Prozent aus. 2023 war das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schweiz einer ersten Schätzung zufolge noch um 1,3 Prozent gestiegen.

Die SNB entscheidet in der Regel viermal jährlich über die Zinsen: Die nächste sogenannte geldpolitische Lagebeurteilung ist für 20. Juni anberaumt. 

(cash/AWP/Reuters)