Es geht um neue Regeln für sogenannte Artikel-8-Fonds, an denen die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (Esma) arbeitet. Im Branchenjargon bezeichnet Artikel 8 die zweitstrengste EU-Klassifizierung für ESG- oder nachhaltige Anlageprodukte. Nachdem eine Verschärfung der Esma für die Top-Kategorie Artikel 9 im vergangenen Jahr zu einer 175-Milliarden-Euro-Migration in die schwächere Klasse geführt hatte, befürchtet die Industrie nun ähnliche Turbulenzen.

Für Adam Jacobs-Dean von der Alternative Investment Management Association stellt die geplante Massnahme der Esma eine so grundlegende Änderung dar, dass diese vom Europäischen Parlament verabschiedet werden müsste. Der Esma fehlt nach Ansicht der AIMA, deren Mitglieder rund 2,4 Billionen Euro Vermögen verwalten, die Rechtsgrundlage für ein solches Vorgehen. "Eine derartig präskriptive Reihe potenzieller Änderungen" müsse "gründlich geprüft werden", so Jacobs-Dean im Interview.

Die Esma reagierte nicht auf eine Bitte um Stellungnahme zu diesem Artikel. Die Behörde hat in der Vergangenheit erklärt, dass sie die Rückmeldungen noch prüfe und voraussichtlich in den kommenden Quartalen endgültige Leitlinien herausgeben werde.

Das Greenwashing-Regelwerk der EU, die so genannte Offenlegungsverordnung (oder auch Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, abgekürzt SFDR) ist seit März 2021 anwendbar. Es wird regelmässig von der Esma aktualisiert.

Gemäss SFDR sind Artikel-9-Fonds dadurch definiert, dass sie ein ESG-Ziel "anstreben", wie zum Beispiel eine Reduktion von Emissionen. Artikel-8-Produkte hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass sie ESG-Merkmale "bewerben". An den Selbstbezeichnungen der Fonds setzt die Esma an.

Esmas Entwurf sieht vor, dass ein Fonds, der mit ESG verbundene Bezeichnungen in seinem Namen führt, künftig mindestens 80 Prozent seiner Investitionen in Bereichen halten muss, die seiner eigenen Strategiebeschreibung entsprechen. Strenger werden die Anforderungen bei Fonds, deren Namen "nachhaltig" oder Varianten dieses Wortes enthalten. Bei ihnen muss die Hälfte dieser 80 Prozent nicht nur der eigenen, sondern auch der EU-Definition von nachhaltigen Vermögenswerten entsprechen.

Im letzten Jahr führten die erwähnten Änderungen der Artikel-9-Regeln dazu, dass massenhaft Fonds umklassifiziert werden mussten. Allein im vierten Quartal verabschiedeten sich Fonds mit einem Kundenvermögen von rund 175 Milliarden Euro aus der Kategorie - und das dürfte noch nicht alles gewesen sein.

Strategieanpassung droht

Die Branche befürchtet nun ähnliches Ungemach bei der ESG-Fondskategorie Artikel 8, die allerdings viel grösser ist und nach Schätzungen von Morningstar über 4 Billionen Euro an Kundenvermögen umfasst. Nach Angaben der Securities and Markets Stakeholders Group, der Vertretung der Marktteilnehmer bei der Esma, müssten 80 Prozent der Artikel-8-Fonds, die sich derzeit als nachhaltig bezeichnen, aufgrund des Vorschlags entweder ihre Bezeichnung ändern oder ihre Strategie anpassen.

Die Anwälte der Kanzlei Linklaters kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass die Behörde ihre rechtliche Kompetenz überschreitet. Esma sei zwar befugt, Verordnungen wie die SFDR auszulegen, sagt Linklaters-Anwältin Julia Vergauwen, die Fondsmanager berät. Die Festlegung der Schwellen stelle jedoch eine "wesentliche" Änderung dar, die weit über ihre Auslegungsbefugnisse hinausgehe, sagte sie.

Die vorgeschlagenen Beschränkungen für die Kennzeichnung könnten laut Vergauwen zu Verwirrung führen. "Ist ‘Wasser’ ein neutraler Begriff oder ist es ein ESG-Begriff? Kann man den Begriff ‘Wasser’ im Namen seines Fonds verwenden, ohne in den Anwendungsbereich der Esma-Konsultation zu fallen?"

In Anbetracht der möglichen Folgen hofft Jacobs-Dean, dass die EU den Esma-Vorschlag in seiner jetzigen Form nicht durchgehen lässt. Die SFDR "existiert bereits, daran führt kein Weg vorbei", sagte er. Die Verordnung "wurde im Rahmen des normalen Gesetzgebungsverfahrens entwickelt, und wenn man sie ändern will, muss man sich ebenfalls an dieses Verfahren halten."

(Bloomberg)