"Die Sicherheit der Energieversorgung ist nicht geregelt, die Inflation ist außer Kontrolle geraten, im Osten Europas tobt ein Krieg und die Menschen halten ihr Geld zusammen", sagt Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. Die anlaufende Bilanzsaison werde die Stimmung kaum aufhellen. "Ein Unternehmen nach dem anderen folgt jetzt mit der Ankündigung, dass der Gewinn in diesem Jahr nicht mehr dort landen wird, wo er vielleicht noch vor wenigen Monaten prognostiziert wurde."

Eine Rezession in den kommenden Monaten werde zum Basis-Szenario, schreiben die Analysten des Vermögensverwalters Muzinich & Co. "Für die zweite Jahreshälfte besteht das Risiko, dass der Inflationsdruck nicht entsprechend den Erwartungen der Zentralbanken nachlässt und eine immer stärkere Straffung der Politik erzwingt. Die Kaufkraft der privaten Haushalte und die Vitalität der Unternehmen werden wahrscheinlich unter Druck geraten. Dies wird zu geringeren Ausgaben, Personaleinstellungen und Investitionen führen."

Die US-Börsen verzeichneten in den letzten fünf Handesltagen ein Positivsaldo: Auf Wochensicht stieg der Dow Jones 0,8 Prozent, der S&P 1,9 Prozent und die Nasdaq 4,6 Prozent. Der Nasdaq verharrt jedoch angesichts eines Abschlags von mehr als 20 Prozent seit seinem Rekordhoch im November nach wie vor im Bärenmarkt.

Traditionell läuten die US-Grossbanken die dortige Bilanzsaison ein. Den Anfang machen JPMorgan und Morgan Stanley am Donnerstag. Am Tag darauf folgen unter anderem Citigroup und Wells Fargo. Die Gewinnerwartungen seien zu hoch, sagt Dan Genter, Chef des Vermögensverwalters Genter Capital. "In den kommenden beiden Wochen werden alle damit beginnen, ihre Prognosen zu senken." Daher müsse mit Kursturbulenzen gerechnet werden.

In der Schweiz veröffentlichen die grossen Firmen erst übernächste Woche die Halbjahreszahlen, darunter Roche, Novartis und ABB.

Optionen verfallen am Freitag

Langfristig orientierte Anleger Chancen könnten dabei aber wittern, gibt Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners zu bedenken. "Stabile oder gar steigende Unternehmensgewinne könnten bei den aktuell günstigen Kursen doch den einen oder anderen an den Markt und in Aktien locken." Ausserdem seien sind die ersten beiden Juli-Wochen historisch betrachtet für den breit gefassten US-Index S&P 500 die besten eines Börsenjahres.

Da der Kampf der Notenbank gegen die Inflation und dessen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft weiterhin für reichlich Gesprächsstoff sorgen, blicken Börsianer gespannt auf die anstehenden Inflationsdaten am Mittwoch. Dann werden sowohl die endgültigen Zahlen für Deutschland sowie diejenigen für die USA bekanntgegeben. Bei Letzteren erwarte er ein 40-Jahres-Hoch von 8,8 Prozent im Jahresvergleich, prognostiziert Commerzbank-Volkswirt Christoph Balz. "In den nächsten Monaten dürfte die Inflation sogar über neun Prozent klettern."

Von diesen Daten und dem kurz darauf veröffentlichten Konjunkturbericht der US-Notenbank ("Beige Book") versprechen sich Investoren Rückschlüsse auf die Geldpolitik der Fed. Derzeit rechnen sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 82 Prozent mit einer erneuten Anhebung des Leitzinses Ende Juli um 0,75 Prozentpunkte.

Unabhängig davon verfallen am Freitag Optionen auf Indizes und einzelne Aktien. Zu diesem Termin schwanken die Aktienkurse üblicherweise stark, weil Investoren die Preise derjenigen Wertpapiere, auf die sie Derivate halten, in eine für sie günstige Richtung bewegen wollen.

(Reuters)