Wenn Olaf Scholz und Robert Habeck derzeit durch die Welt reisen, liegt der Verdacht nahe, dass sie vor allem Zusagen für kurzfristig verfügbares Flüssiggas (LNG) einsammeln wollen. Umso grösser ist die Enttäuschung, dass etwa Habecks Besuch in Katar bislang kein grosser Abschluss folgte. Jetzt ist der Kanzler in den Golf-Staaten in einer anderen Mission unterwegs: Er ist vor allem Handlungsreisender für ein anderes Gas – Wasserstoff. "Die Aufgabe lautet nicht mehr und nicht weniger, als Regierungen weltweit davon zu überzeugen, dass sie in diese Technologie einsteigen", heisst es in Regierungskreisen. Die kurzfristige Lösung der LNG-Problematik sei auch wichtig. Aber am Golf werde an der Zukunft gefeilt.

Das ist nicht einfach: Zum einen gibt es Zweifel, ob sich Milliarden-Investitionen in Wasserstoff wirklich lohnen. In einigen Länder hält sich die Vorstellung, dass man in Zukunft auch mit einem massiven Ausbau der Atomkraft CO2-neutral wirtschaften könne. Zum anderen gibt es einen enormen Zeitdruck. Denn Deutschlands Ziel der Klimaneutralität bis 2045 kann nach Ansicht der Bundesregierung nur erreicht werden, wenn der breitflächige Umstieg auf eine Wasserstoff-Wirtschaft gelingt.

Eine deutsche und selbst eine europäische Insellösung ist dabei jedoch unmöglich. "Experten schätzen, dass wir 40 bis 60 Prozent unseres künftigen Wasserstoff-Bedarfs importieren müssen", heisst es in der Regierung. Das bedeutet: Man braucht Länder, die in grossem Umfang grünen Wasserstoff produzieren, und das möglichst billig. Dafür brauchen sie Ökostrom in riesiger Menge. Und man benötigt viele Staaten, die diesen Weg gehen: Denn auf keinen Fall will sich die Bundesregierung laut Scholz wieder von wenigen Produzenten abhängig machen wie dies bei fossilen Energien der Fall ist. Deshalb streitet der Kanzler schon heute auch mit Frankreich über den Bau einer Pipeline, die auch Spaniens und Portugals Gas-Terminals an das mitteleuropäische Netz anbinden könnte.

Die Bundesregierung wirbt aber auch in Australien, Senegal, Südafrika, Ägypten oder Kanada, damit diese Länder investieren und potenzielle Lieferanten werden. In Saudi-Arabien wird zumindest der zuvor nötige massive Ausbau der Ökostrom-Produktion mit dem Bau grosser Solarfelder in der Wüste geplant - mit der Aussicht auf eine Stromproduktion für einen Cent pro Kilowattstunde. In dem ölreichen Land gibt es aber auch gigantische Pläne für neue Städte wie Neom, deren Mobilität dann mit grünem Wasserstoff gesichert werden soll. Nur war der Export noch nicht ins Auge gefasst worden.

"Die Länder steigen nur um, wenn sie auch von Europas grösster Volkswirtschaft die klare Ansage erhalten, dass Wasserstoff wirklich der Stoff der Zukunft ist", sagte ein deutscher Regierungsvertreter. Scholz will genau diese Zusage geben: Denn milliardenschwere Investitionen in den Ausbau der Wasserstofferzeugung und die dafür nötige Ökostromproduktion werden Regierungen und Firmen nur tätigen, wenn sie das Vertrauen auf eine sichere Abnahme haben. Die Wette auf die Wasserstoff-Zunft soll für beide aufgehen - langfristig. Eine erste bilaterale Wasserstoff-Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Saudi-Arabien wurde dabei bereits im März 2021 noch von der Vorgängerregierung in Berlin vereinbart.

Deutsche Industrie will weltweiter Vorreiter werden

Scholz hat auf der Golf-Reise gleich die Chefs von Firmen mit an Bord, die die Transformation zum neuen Milliardengeschäft an verschiedenen Stellen vorantreiben – wie Siemens Energy, den Hamburger Hafen oder die Thyssenkrupp. Die deutsche Industrie will bei dem Thema weltweit Vorreiter werden. Der Bau der nötigen Elektrolyse-Einrichtungen für die Produktion von Wasserstoff soll ebenso zum Milliardengeschäft werden wie das erste völlig Co2-freie Stahlwerk, das bei der Salzgitter in Niedersachsen entstehen soll.

Der Kanzler wirbt dabei mit einer Win-Win-Win-Situation: Gerade Länder, aus denen Deutschland gerne vorübergehend auch LNG-Gas beziehen möchte, könnten mit ihren Exportterminals doch gleich eine Infrastruktur aufbauen, die sie nach dem Ende des fossilen Zeitalters auch für den Verkauf von Wasserstoff nutzen könnten - und Deutschland würde davon auch profitieren. Für dieselbe Doppelnutzung von LNG und Wasserstoff werden die Terminals an der deutschen Nord- und Ostseeküste gebaut – auch wenn Anlandeterminals technologisch sehr viel einfacher und billiger zu bauen sind als Exporteinrichtungen für Wasserstoff, weil dieser für den Transport extrem heruntergekühlt oder als Ammoniak exportiert werden muss. Der Clou: Mit dem Hinweis auf Wasserstoff lässt sich in Europa besser erklären, wieso doch noch in die Nutzung fossiler Energie investiert werden muss. Und den Golf-Staaten, so die Argumentation, bietet der Umstieg eine Perspektive für das Post-fossile Zeitalter, wenn ihr Gas und Öl nicht mehr gebraucht wird.

(Reuters)