cash: Herr Häberli, braucht man in einigen Jahren keinen mechanischen Schlüssel mehr? Wie nehmen die Menschen dies im Alltag auf?

Andreas Häberli: Bei neuen Technologien denkt man immer, etwas Altes werde abgelöst. Wir beobachten aber bei uns, dass bestehende Systeme ergänzt werden. Vom mechanischen Schlüssel ging die Entwicklung über zum elektronischen Schlüssel wie dem Badge oder der Zugangskarte, und nun kommen wir in den Bereich der 'mobilen Berechtigung', also über das Handy. Es wird aber in zehn Jahren nicht zuletzt deswegen noch mechanische Schlüssel geben, weil sonst millionenfach ausgewechselt werden müsste.

Am Digital Economic Forum, wo wir dieses Interview führen, wird viel über «Disruption» gesprochen – wie definieren Sie bei Dorma+Kaba diesen Begriff?

Es geht um drei Dinge: Das Geschäft wird zunächst einmal von vielen kleinen und kontinuierlichen Innovationsschritten erhalten, den 'sustaining innovations'. Eine zweite Klassifizierung ist bei uns die Effizienzsteigerung. Die disruptiven Innovationen, welche bestehende Pfade verlassen, müssen aber immer auch Platz haben. Dies muss systematisch und strategisch betrachtet werden. Nur mit allen drei Innovationsformen kann man eine nachhaltige Firmenentwicklung garantieren.

Dorma+Kaba gilt als gut positioniert, in der Digitalisierung mitzuhalten. Wie äussert sich dies bei Ihnen?

Wenn man sagt, man sei 'gut positioniert', dann hat man eigentlich bereits etwas verpasst, da man ja nie stillstehen darf. Meine Aufgabe als Technologiechef ist auch, die immer neuen Möglichkeiten zu erkennen, welche durch neue Technologien ermöglicht werden. Die Entwicklung vom mechanischen Schlüssel zur Magnetkarte zur mobilen Berechtigung hat etwas disruptives, weil die Geschäftsmodelle sich ändern: Den mechanischen Nachschlüssel macht Dorma+Kaba selbst, aber für den Badge produzieren wir selber kein Silizium, sondern wir programmieren es. Die Wertschöpfung ist dadurch eine andere. Beim Handy als Basis für Schliess- und Zugangssysteme kommen noch einmal ganz andere Mechanismen ins Spiel.

Prognosen zum wirtschaftlichen Wandel, zu Innovationen und verändertem Kunden- und Konsumentenverhalten ziehen oft Beispiele heran, die überraschen. Was wäre ein solche überraschende, ungeahnte Entwicklung in der Schliess-Technologie?

Berechtigungen über das Mobiltelefon und Cloud-Anwendungen haben enormes Potential. Wir stehen da ganz am Anfang. So ist es ein Bedürfnis, dass Berechtigungen sofort erteilt und oder entzogen werden können und ich auch jederzeit überall weiss, ob meine Türe auch tatsächlich abgeschlossen ist oder wer ein Gebäude betreten hat. Interessant ist zudem, wenn sich solche Systeme einfach und nahtlos mit anderen Systemen wie Video, Alarm, Klima, Liftsteuerung oder Bewegungsdaten verbinden lassen. Dabei geht es darum, Gebäude und Räume sicherer zu machen, effizienter zu bewirtschaften oder auch Menschen in grossen Gebäuden schneller an den Arbeitsplatz zu bringen.

Andreas Häberli im Gespräch mit cash-Redaktor Marc Forster.

Welche Art Wandel kann ein Unternehmen wie Dorma+Kaba aus der Bahn bringen? Mit welchen Szenarien arbeiten Sie?

Bei uns verläuft das Geschäft natürlich langsamer als anderswo – wenn die Entwickler bei Apple den neuesten Trend bei den Smartphones verpasst, sind sie in Schwierigkeiten. Bei uns ist dies etwas anders. Wir leben sehr stark von der installierten Basis, also vom Nachrüstgeschäft. Aber es gibt zum Beispiel unter dem Stichwort 'Smart Home', also umfassende, mobil gestützte Systeme in der Schliesstechnik eines Hauses oder grossen Gebäudes, sehr aggressive und gut finanzierte Start-ups, die das Geschäft verändern. Ein solches Start-up könnte sich eines Tages durchsetzen und uns Geschäft wegnehmen.

Arbeiten Sie mit diesen Start-ups zusammen?

Manchmal treten Start-ups auf uns zu, gerade dann, wenn sie einen Wachstumsschritt vorhaben. Wir diskutieren viel über Start-ups, auch darüber, ob wir welche akquirieren oder wo wir investieren sollen. Die Zusammenarbeit mit Start-ups ist derzeit zwar ein kleiner Teil des Geschäfts, aber was die Zukunft anbelangt, ein wichtiger.

Bedeutet zunehmende Digitalisierung – in Ihrer Branche – auch grössere Sicherheitsrisiken?

Im Umfeld von Industrie 4.0 ist dies ein grosses Thema. Mit mobile- und Cloud-Anwendungen in der Schliesstechnik verlassen wird das eigene 'Ökosystem'. Verschlüsselungen und die dazugehörige Software ist ein Teil von Dorma+Kaba, dort kennen wir mögliche Schwachstellen und Risiken. Mit der Cloud etwa arbeitet man aber auf Plattformen, die einem nicht mehr gehören, mit entsprechend anderen Risiken. Das sind grosse Herausforderungen, denen wir durch entsprechende Massnahmen, wie z.B. regelmässige sogenannte Penetration Tests oder 'friendy hacking' begegnen, um mögliche Schwachstellen zu erkennen.

Was ist bei Ihren Geschäftsbereichen heute schon cloud-basiert?

Zutrittsberechtigungen über das Handy werden über einen Cloud-Service ausgelöst: Man kann diesen von überall her beauftragen, eine Berechtigung zu verschicken. Ein weiteres Produkt, das wir zur Zeit in den Markt einführen, ist ein Zutrittssystem, bei der man die Software nicht mehr bei sich im Haus hat, sondern wo nur noch ein Log-In in Dienstleistungen aus der Cloud nötig ist. Wir nennen das 'Access Control as a Service'.

Wie gehen Sie mit gesammelten Daten um?

In solch einer Cloud-Anwendung sammeln sich sehr viele Daten über Personen und Gebäude an. Man kann zum Beispiel sehen, wer Raucher ist, weil er häufig den Zutritt zu einen Raucherraum passiert. Bei uns gehören solche Daten immer dem Kunden. Hotels beispielsweise fragen uns, was wir mit den Daten machen: Sie wollen einerseits nicht, dass die Privatsphäre von Gästen verletzt wird, aber selber nutzen sie natürlich solche Daten für ihr Marketing.

Hilft die Fusion der vorher eigenständigen Firmen Dorma und Kaba, die im vergangenen September vollzogen wurde, bei den Herausforderungen der Zukunft?

Die beiden Unternehmen ergänzen sich sehr gut. Die ehemalige Kaba bringt den Bereich Zutrittskontrollen mit, bei der ehemaligen Dorma ist der Schwerpunkt Türsysteme und ergänzende Produkte an der Türe, wie z.B. Türschliesser. Andererseits ergänzen sich die beiden Fusionspartner bei den Themen Zutritt und Austritt. Im Feld der Innovation gibt dies neue Möglichkeiten. Die kann auch in Bezug auf die Digitalisierung ein entscheidender Vorteil sein.

Wie wappnet sich Dorma+Kaba gegen die Risiken spätzyklischer Kundenmärkte und die deutliche Abhängigkeit von der Bautätigkeit?

Mit dem Unternehmenszusammenschluss gewinnen wir unterschiedliche Wege, an den Markt zu gehen. Die ehemalige Dorma mit der Kompetenz in Drehtüren, Schiebetüren oder Movable Walls (Bewegliche Raumteilungssysteme) bewegen sich in einem frühen Abschnitt des Marktes für Gebäudebau. Die ehemalige Kaba ist eher zu späten Phasen einer Bautätigkeit aktiv. Es gibt weiter vor allem regional bedingte Schwankungen, aber das Geschäft ist stabiler geworden.

Industrie- und Technologieunternehmen in der Schweiz geht es derzeit recht gut – ist die Unsicherheit nach dem Franken-Entscheid der SNB weg?

Dorma+Kaba produziert und verkauft viel im jeweils selben Markt, dadurch haben wir eine Art von natürlichem Hedging. Gerade in der Schweiz haben wir aber auch stärker in die Effizienz investiert. Im Unterschied zu anderen Firmen traf uns die Frankenaufwertung nicht abrupt, aber sie führte schon auch zu einer graduellen Anpassung.

Dr. Andreas Häberli ist Chief Technology Officer (CTO) und Mitglied der Geschäftsleitung von Dorma+Kaba (Eigenschreibweise: dorma+kaba), dem 2015 fusionierten schweizerisch-deutschen Spezialisten für mechanische und elektronische Schliess- und Zutrittssysteme. Häberli promovierte an der ETH Zürich und begann 2003, für die frühere Kaba Gruppe zu arbeiten. Kaba ist ein Schweizer Traditionsmarke und geht auf das Jahr 1862 zurück, während Dorma mit Sitz in Nordrhein-Westfalen auch bereits seit 1908 existiert.

Das Gespräch mit Andreas Häberli fand während des Digital Economic Forum in Zürich statt, wo cash als Medienpartner auftrat.