In den vergangenen Jahren hat sich der Wert der Nestlé-Aktie so gut wie halbiert. Die Papiere des Lebensmittelkonzerns notieren gegenwärtig um 76 Franken, nachdem sie Anfang 2022 bei knapp 130 Franken und dem bisherigen Allzeithoch angekommen waren. Das sich anbahnende Kursdebakel hatte damals niemand auf der Rechnung.
Allein dieses Jahr ist Nestlé 22 Prozent getaucht und damit - vor Kühne+Nagel - die zweitschwächste Aktie des Swiss Market Index (SMI). Dieser hat seit Anfang Januar vier Prozent hinzugewonnen. Zum Kursverfall der Nestlé-Aktie hat unter anderem die Revision des Ausblicks beigetragen. Zunächst bezifferte das Management das organische Wachstum des Lebensmittelkonzern im Jahr 2024 mit «rund 4 Prozent». Im Oktober war noch von «rund 2 Prozent» die Rede.
Keinen Halt fand die Aktie auch, als der neue CEO Laurent Freixe Mitte November einen neuen Plan mit Kostensenkungen, Marketinginvestitionen und einem mittelfristiges Wachstumsziel von mindestens vier Prozent vorstellte. Er sei zuversichtlich, unterstrich Freixe, dass Nestlé ein nachhaltiges und profitables Wachstum erzielen und Marktanteile gewinnen könne.
Gleichentags rutschte die Aktie mehr als drei Prozent ab. Und in den darauf folgenden Tagen sank sie zum ersten Mal seit sechs Jahren unter 76 Franken.
Eine markante Erholung des Kurses ist bis anhin nicht erkennbar. Dennoch mehren sich Hinweise dass Nestlé die Talsohle erreicht haben könnte - jenen Punkt, von dem aus es wieder aufwärts geht.
Denn am Mittwoch senkte die zuständige Analystin von Morgan Stanley, Sarah Simon, das Kursziel von 80 auf 76 Franken. Dieser Wert entspricht dem aktuellen Preis. Somit besteht laut der Morgan-Stanley-Expertin - auf dem nun tiefen Kursniveau - kein Abwärtspotenzial mehr.
Wichtiger noch: Simon hat das Rating auf der Nestlé-Aktie auf «Equal Weight» von «Underweight» angehoben. Ausgedeutscht heisst das etwa: auf «Halten» von zuvor «Verkaufen» emporgestuft. Sie sieht zwar immer noch ein Risiko für die Schätzungen zu den Jahren 2025 und 2026, glaubt aber, dass der Markt dies inzwischen erkannt habe, so dass die Bewertung nun die vorsichtigeren mittelfristigen Aussichten widerspiegele.
Nach der Heraufstufung durch Morgan Stanley gibt es laut der Datenbank von Bloomberg nur noch noch ein negatives Rating bei der Aktie. Es stammt von BNP Paribas Exane, der zuständige Analyst war bereits im Januar von «Neutral» auf «Underperform» gegangen.
Die von CEO Laurent Freixe angekündigte operative Gewinnmarge von 17 Prozent, der Ausblick für das Wachstum von rund zwei Prozent im Jahr 2024 und von mittelfristig mehr als vier Prozent - das sei «vernünftig», schreibt Barclays. Die Bank hatte das Preisziel letztmals im Oktober gesenkt, von 92 auf 90 Franken. Anlass waren die Drittquartalszahlen.
Nachdem Nestlé im November das Investorentreffen abgehalten und dabei den Wachstumsplan vorgelegt hatte, ging Barclays nicht weiter nach unten und blieb bei 90 Franken. Allerdings werde sich erweisen müssen, wie genau die angekündigten Kosteneinsparungen aussehen und in welcher Kadenz sie erfolgen.
«Ausschüttungen an die Aktionäre dürften sinken»
Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) schrieb anlässlich des Kapitalmarkttages: «Die neuen Mittelfristziele sehen unspektakulär aus, sind jedoch dafür realistisch». Weiter führt die ZKB Pluspunkte der Nestlé auf: Die tiefe Bewertung, die «vergleichsweise sehr sichere» Dividendenrendite von fast 4 Prozent, die starke Marktstellung in attraktiven Geschäftsfeldern - und die Aufbruchstimmung nach dem CEO-Wechsel von Mark Schneider zu Laurent Freixe. «Diese Aufbruchstimmung konnten wir im Gespräch mit verschiedenen Managern spüren», heisst es in dem Kommentar.
Eine weitere Einschätzung der Zürcher Kantonalbank folgte am Mittwochmorgen, diesmal zur Bonität des Lebensmittelkonzerns. Diesbezüglich seien die zuletzt enttäuschenden Geschäftszahlen nur wenig belastend, schreibt ZKB-Experte Patrick Hasenböhler.
Wesentlich belastender seien aus Gläubigersicht die hohen Ausschüttungen an die Aktionäre. Sie hätten zu einem Anstieg der Nettoverschuldung von 35 Milliarden Franken im Jahr 2021 auf über 50 Milliarden Franken in den Jahren 2022 und 2023 geführt.
Daher wertet es Hasenböhler positiv, dass Nestlé zwar dem Ziel einer jährlich steigenden Dividende weiterhin eine hohe Priorität einräumt, aber nach Abschluss des laufenden Aktienrückkaufprogramms vorerst kein neues Programm starten werde - und den Aktienrückkäufen nun eine geringere Priorität beimesse. Der ZKB-Analyst formuliert: «Die Ausschüttungen an die Aktionäre dürften sinken.»
Diese Annahme dürfte im Aktienkurs allerdings eingepreist sein. Die Gesundung von Nestlé und deren Aktienkurs wird wohl aber ein längerer Prozess. Sprich: Das Unternehmen wird Zeit, die Anleger Geduld brauchen, bis die soeben vorgestellten Pläne greifen. Bei kurzfristig orientierten Anlegern wird die Nestlé-Aktie daher nicht zuoberst auf dem Kaufzettel stehen.
3 Kommentare
Würde sicher im 2024 keine zusätzlichen Nestle Papiere kaufen. Werde den
verdacht nicht los, dass hier noch einige Titel aus windowdressing Gründen vor Jahresende auf den Markt geworfen werden.
Wir haben den Boden wohl noch nicht ganz erreicht. Auf der Kostenseite sieht sich Nestlé mit steigenden Rohstoffpreisen konfrontiert. Wenn der Orange ab Februar an der Zollschraube dreht, wird die Produktion in den USA zusätzlich verteuert. Dazu bestehen noch latenten Prozessrisiken aus den diversen Verstössen gegen die Wasserlizenzen und Nahrungsmittelgesetze (Filtrierung). Im Prinzip müsste Nestlé mal den Goodwill, den sie für die Marken in den Büchern haben, nach unten anpassen. Das gäbe eine weitere Bewertungskorrektur. Das alles geht auf Kosten und Ertrag.
Zudem haben wir bis jetzt nichts gehört zu Umbauplänen und Restruktuierungskosten. Beides wird noch kommen (müssen), mit dem einen Prozent Mehrkosten für die Absatzförderung ist es noch nicht getan, das ist eher eine Mittelfristigmassnahme um das aktuelle Geschäft zu stabilisieren, sicher aber kein Investment in eine Neuausrichtung. Wir werden wohl auch noch steigende Kapitalkosten einrechnen müssen resp. falls die Refinanzierung des Umbaus über den Verkauf von L'Oreal erfolgt, werden dort stattliche Dividenden und Aufwertungsgewinne entfallen. Und dann haben wir erst letzte Woche gehört, dass Netstlé "die Preisspirale wohl überdreht habe" und korrigieren wolle. Das heisst nichts anderes als tieferer Ertrag.
Ergo: Der Boden ist noch nicht erreicht,
Ich sehe den Boden nochmal 10% tiefer als heute, irgendwo zwischen 65 und 70. Danach wird's vermutlich ein paar Jahre seitwärts/leicht aufwärts gehen, mit den üblichen kurzzeitigen Hüpfern bei guten News. Erst wenn die sortimentspolitischen, strukturellen und kulturellen Massnahmen greifen, wird's richtig aufwärts gehen. Wenn Nestlé einen guten Job macht, wird's dann aber einen ordentlichen Upside geben, denn mit den richtigen Produkten kann Nestlé seine Stellung im Markt voll ausspielen. Wenn wir in Grössenordnung 6 Jahren mit Nestlé bei 130 stehen und man zu unter 70 einkaufen können sollte, bekommen wir auch eine markt- und risikogerechte Rendite. Ein Selbstläufer ist die Neuaufstellung von Nestlé allerdings nicht und es besteht die Gefahr, dass die Crew, die jetzt am Ruder ist, mental zu stark das Nestlé der Vergangenheit repräsentiert und zu wenig das Nestlé der Zukunft. On verra.
Nestlé hat in der Tat einige spezifische Herausforderungen zu bewältigen. Die Ausschüttungen übertrafen jahrelang den Free Cash Flow. Damit ist die Verschuldung gestiegen. Ein Teil des Tafelsilbers (LÒreal) wurde verkauft. Die Investitionen in Marken und Produktionsstätten waren unzureichend. Ein grosser Tanker wie Nestlé lässt sich nicht in wenigen Quartalen drehen.
So wie die Menschen im Westen Ende der 1970er Jahre genug vom Sozialismus hatten und mit Thatcher, Reagan, Kohl, wählten, ist es nicht auszuschliessen dass es auch jetzt wieder eine globale Politikwende gibt. Nicht nur in den USA, auch in Kanada (Wahl 2025), Schweden, Italien, Argentinien, Osteuropa gibt es Regierungen die die linke Ideologie mit ESG Zielen beerdigen. Am Rande der letzten "Klimakonferenz" verkündeten die BRICS Staaten das der Klimawandel nicht ihre Priorität sei.
Sofern ein solcher Politikwandel statt findet, dann kann -vielleicht nach einer weiteren Krise - auch die Weltwirtschaft wieder Fahrt aufnehmen. In den 80er und 90er Jahren wuchsen Konsumgüterkonzerne mit 5 - 10% /Jahr. Dann wird auch der Tanker Nestlé angehoben und kann aus den Herausforderungen heraus wachsen.